Sind Nahtoderfahrungen ein Fenster ins Jenseits?

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Katzman

Am 23. Oktober war der Schweizer Musiker Bo Katzman (mit bürgerlichem Namen Reto Borer) zu Gast in der Sendung «TalkTäglich» des Regionalsenders TeleZüri.

Katzman

Katzman ist nicht ein beliebiger Musiker, sondern religiöser Gospel-Sänger. Zu seinem Glauben fand er durch eine sogenannte «Nahtoderfahrung»: Nachdem er bei einem Unfall lebensbedrohlich verletzt wurde, hatte Katzman, so erklärt er in der Sendung, eine Episode ausserkörperlicher Erfahrung gemacht, während der er Kontakt mit dem Jenseits und mit dem Göttlichen gemacht hat.

Dieses aussergewöhnliche Erlebnis hat Katzman im Buch «Zwei Minuten Ewigkeit» verarbeitet, das er in TalkTäglich bewarb:

Katzman_Buch

Was hat es mit Nahtoderfahrungen auf sich? Sind sie tatsächlich Beweise für die Existenz einer vom physischen Körper getrennten Seele und einer «geistigen» oder gar «göttlichen» Welt?

Katzmans Argumente

Mit dem Verweis auf sein Buch weicht Katzman mehrmals der konkreten Diskussion um Details seiner Erfahrung aus. Sein Nahtoderlebnis hat sich, so viel führt er aus, während einer Notfalloperation ereignet, in welcher er für zwei Minuten einen Herzstillstand erfuhr. Das Jenseits beschreibt Katzman als in seiner Schönheit kaum in Worte fassbar, und die «Energie», welche Katzman dabei gespürt hat, ist für ihn der Beweis, dass hier ein Kontakt mit dem Jenseits stattgefunden hat.

In Minute 5 bemerkt der (insgesamt für TeleZüri-Verhältnisse erfreulich kritische) Moderator Hugo Bigi, dass Katzman eine wunderbare Geschichte erzähle, er als Zuhörer sie aber aber einfach glauben müsse, weil es keine Beweise gebe – Katzman stimmt dieser Einschätzung zu. Katzman argumentiert in Minute 6 denn aber auch, dass die wissenschaftlichen Deutungen des Phänomens der Nahtoderfahrungen diese nicht zu erklären vermögen:

Das [die wissenschaftlichen Erklärungen, M.K.] kommt mir so ein bisschen hilflos vor. Wie wenn ein Blinder einem Sehenden erklären möchte, wie die Farben aussehen. Das geht nicht. Das muss man erlebt haben.

Wissenschaft kann Nahtoderfahrungen also pauschal nicht erklären, weil das etwas ist, was nur durch subjektives Erleben fassbar ist. Das ist ein Argument, das letztlich auf die angebliche Unfehlbarkeit des subjektiven Empfindens rekurriert: Meine Sinne sind resistent gegen jede Täuschung; ich weiss, was ich erlebt habe; ich bin unfehlbar, und die Wissenchaft irrt sich.

Die Logik hinter dieser Argumentation ist offensichtlich nicht stichfest. Ob Katzman damit ein solipsistisches Weltbild postuliert, oder eher ein einfach sehr egozentrisches, ist unklar. Klar ist jedenfalls, dass er sich in Unschlüssigkeiten verstrickt: Wenn wie in diesem Fall der berühmte «Ockham’s Razor» missachtet wird (eine plausible, auf etabliertem Wissen beruhende Erklärung wird zugunsten einer weitaus komplexeren, auf unbewiesenen Prämissen gründenden abgelehnt), bedarf es einer besseren Begründung als «es ist halt so». Darüber hinaus ist gänzlich willkürlich, dass Katzmans oder sonstige Nahtoderfahrungen gerade die Existenz einer bestimmten, in Katzmans Fall christlichen, Gottheit beweisen sollen.

In Minute 18 meldet sich ein kritischer Anrufer: Er habe selber auch eine Nahtoderfahrung gemacht, vermarkte und verkaufe sie aber nicht wie Katzman, sondern suche eine rationale Erklärung. Zudem bittet er Katzman, er möge doch aufzählen, welche wissenschaftlichen Artikel aus welchen Zeitschriften er gelesen und als unzureichend eingestuft habe.

Nach ein wenig hin und her fragt der Moderator Bigi nach, ob es möglich wäre, die Frage des Anrufers zu beantworten. Katzman meint mit einem breiten Lächeln, das sei selbstverständlich möglich – er habe all diese Bücher zuhause im Regal. Das heisst, er kann keine Antwort liefern.

Nahtoderfahrungen aus wissenschaftlicher Perspektive

Der eingangs verlinkte Wikipedia-Artikel zu Nahtoderfahrungen beschreibt eine Reihe von Mechanismen, die Zustände, welche als Nahtoderfahrung beschrieben werden, hervorrufen können.

In einem letztjährigen Interview mit der Zeitschrift NewScientist hat der Neurologe Kevin Nelson einige gängige Ursachen genauer beschrieben:

newscientist_NDE

An dieser Stelle einige weitere Quellen, in denen diese Argumentationslinie vertreten wird:

Gegenwärtig sorgt ein Buch bzw. Erlebnisbericht des US-amerikanischen Neurochirurgen Eben Alexander für Wirbel: Ein ausgebildeter Chirurg wird ja wohl wissen, wie das Hirn funktioniert, und darum sollte seine Schilderung besonders relevant sein.

Wie Sam Harris ausführlich festhält, ist auch Alexanders Nahtoderfahrung nichts, was den gängigen neurologischen Kenntnissen widerspräche, geschweige denn ein wie auch immer geartetes Jenseits bestätigte. Auf den Punkt gebracht, beschreibt P.Z.Myers die Sachlage im Falle Alexander folgendermassen:

Here’s a deep message for you: brain damage can persuade you of the truth of some real bullshit.

Fazit: Faszinierend, aber von dieser Welt

Nahtoderlebnisse sind durchaus reale Geschehnisse – tatsächlich erleben viele Menschen, was unter dem Begriff «Nahtoderfahrung» bekannt wurde; möglicherweise ist auch Bo Katzmans Erfahrung in diesem Sinne real.

Obschon Nahtoderfahrungen also sehr intensive, einschneidende Erlebnisse darstellen können, ist es unzulässig, sie als wissenschaftlich unerklärbar darzustellen. Gerade die neurologischen Ursachen für Nahtoderfahrungen machen diese so spannend, dokumentieren sie doch die Funktionsweise unseres Gehirnes. Aber auch wenn wir davon ausgingen, dass es keinerlei wissenschaftliche Erklärung für Nahtoderlebnisse gäbe, wäre der Schluss, es müsse sich um Einblicke in eine jenseitige Welt handeln, falsch, und zwar im Sinne eines klassischen «argument from ignorance»-Fehlschlusses: Weil es keine Erklärung für Phänomen X gibt, trifft meine Erklärung zu.

Wird wie bei Bo Katzman diese falsche Logik zusammen mit einer antiwissenschaftlichen Haltung in Buchform gewürgt, liegt kein Fenster ins Jenseits, eher eine Fallgrube in Unvernunft vor.

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