Die Schweizer Krankenversicherung CSS wirbt gegenwärtig mit dem folgenden Bild um die Gunst der Kunden:
Die in diesem Bild von der CSS beworbene Dienstleistung ist an und für sich recht unspektakulär: ein Online-Benutzerkonto mit bestimmten Funktionen. Die Art und Weise aber, wie diese Dienstleistung beworben wird, ist ausgesprochen problematisch.
Die Probleme mit dem Sujet
Inhalte von Bildern können semiotisch unendlich lange diskutiert werden, so auch das obige Bild der CSS. Es gibt aber drei explizite, objektive Inhalte, welche recht klar erkennbar sind:
- Ein Smartphone, auf welchem „Impfungen“ und „Akupunktur“ jeweils mit einem Haken markiert oder ausgewählt sind.
- Zwei Türen. Eine davon ist angeschrieben mit „Impfungen“, und die andere mit „Akupunktur“.
- Vor der Türe mit „Akupunktur“ steht eine Person, vermutlich eine Frau, die linke Hand an der Türklinke.
Was für einen Eindruck vermitteln diese Bildelemente? Wer dieses Werbemotiv nur beiläufig wahrnimmt, kann den Eindruck gewinnen, dass Impfungen und Akupunktur mindestens gleichwertig seien. Da die Frau vor der Akupunktur-Türe steht, kann zusätzlich der Eindruck entstehen, dass sich die Frau für Akupunktur anstatt für Impfungen entschieden hat.
Diese Bildsprache bei der Werbung der CSS ist ein Problem, denn Impfungen und Akupunktur sind zwei Paar komplett unterschiedlicher Schuhe. Akupunktur ist eine therapeutische Massnahme, welche, so die verfügbare Evidenz, eine kurzfristige schmerzlindernde Wirkung hat1 2 3 4 5 6 7. Die Natur und das Ausmass dieser Wirkung sind kompatibel mit der Annahme, dass es sich um einen Placebo-Effekt handelt8 9 10 11. Impfungen andererseits sind eine der nützlichsten medizinischen Massnahmen überhaupt12 13 14 15 16.
Der Umstand, dass die CSS in ihrer Werbung überhaupt Akupunktur mit Impfungen vergleicht, ist kurios. Dass aber der Eindruck erweckt wird, Impfungen und Akupunktur seien gleichwertig, oder sogar, dass Akupunktur Impfungen in irgendeiner Art vorzuziehen sei, ist mehr als nur unverständlich.
Das übergeordnete Problem
Das eigentliche Problem mit dem Werbe-Sujet der CSS ist nicht so sehr die Werbung an und für sich. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wollten die involvierten PR-Leute schlicht eine Art simples Wohlfühl-Motiv erstellen. Getreu dem Motto: Irgendwie etwas mit „Schulmedizin“ und „Komplementärmedizin“ abbilden, das passt dann schon, das ist schön harmonisch.
Das eigentliche Problem mit dem Werbe-Sujet der CSS ist denn auch eher, dass das, was dort abgebildet ist, lediglich die latente öffentliche Meinung reproduziert und dadurch auch wieder verstärkt. Gerade in der Schweiz sind viele Menschen der Meinung, dass „Schulmedizin“ und „Komplementärmedizin“ gleichberechtigt sind, und, dass also das eine nicht besser oder schlechter als das andere ist. Wenn die Frage nach Evidenz gar nicht mehr gestellt wird, dann ist tatsächlich jede diagnostische und therapeutische Massnahme gleichberechtigt, und wir wählen einfach das, woran wir gerade glauben möchten. Aber die Frage der Evidenz und der Qualität der Evidenz zugunsten diagnostischer und therapeutischer Massnahmen darf uns, rationalerweise, gerade nicht egal sein17.
References
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3 Comments on “Akupunktur auf Augenhöhe mit Impfungen?”
Ich bin auch der Meinung, dass Impfungen und Akkupunktur zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind. Dass aber das Inserat suggerieren soll, dass an Stelle einer Impfung Akupunktur angewendet werden kann, lese ich nicht in diesem Inserat.
Die Frau hat die Türklinke (nicht „Klinge“) in der linken Hand und drückt mit der rechten Hand gegen die leicht geöffnete Türe, d.h. sie macht die Türe gerade zu. Sie wird sich jetzt – weil die Akupunktur nichts genützt hat – den Impfungen zuwenden.
Zu „Klinge“ – merci, ist korrigiert!