Alternativmedizin – What’s the Harm?

Denis UfferBlog, GesundheitLeave a Comment

Nachdem man alle wissenschaftlichen Argumente zu deren Widerlegung dargelegt hat, hört man oft von den Befürwortern der Alternativmedizin (oder “Komplementärmedizin” und die vielen weiteren Bezeichnungen seien hier mitgemeint) folgendes: “und auch wenn’s nicht nützt, schaden tut es auch nicht!” Dieses Totschlagargument soll wissenschaftliche Argumente für eine evidenzbasierte Medizin vom Tisch fegen und von der wesentlichen Diskussion ablenken. Denn auch wenn etwas vielleicht keinen wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis hat, dann kann man die “Heilmethode” dennoch anwenden, da sie ja angeblich keinen Schaden anrichten kann. Hier steckt implizit schon der Wurm in der Behauptung drin: Man behauptet, wiederum ohne Evidenzbasis, dass die gerade diskutierte Methode a priori nicht schädlich ist. Doch ist dem auch so?

Wenn mit der grünen Unschuldsfarbe dick genug gestrichen wird, dann ist hier nichts zu sehen…
Bildquelle: Skeptiker Schweiz

Da erstaunlich viele Ärztinnen und Ärzte regelmässig in diese Falle tappen, soll diese Plattitüde an dieser Stelle einmal gründlich zerpflückt werden. Es gibt drei grundlegende Gründe, warum diese Argumentation geradezu in keinem (!) Fall zutrifft:

  1. Viele “alternative Therapiemethoden” sind durchaus potenziell schädlich.
  2. Alternativmedizinische Behandlungen führen oft zu Verzögerungen bei dringend indizierten medizinischen Therapien.
  3. Wenn von ärztlicher Seite propagiert, wird hierdurch ein medizinisches Denkmuster ungerechtfertigt legitimiert.

1. Direkte Schäden

Die Schlagwörter sind prompt aufgetischt: sanft, natürlich, traditionell, etc. Diese sollen vorgaukeln, dass in den Methoden oder Substanzen der jeweiligen Therapien nichts schädliches drin ist. Wer schon einmal einen “natürlichen” Fliegenpilz gegessen hat, weiss anderes zu berichten. Wer ein kurzes Surfen quer durch Youtubes Chiropraktiker-Videos wagt, wird mit “sanft” kaum etwas anfangen können. Und dass an “traditionell” entweder mehr Wort als Tat dran ist, zeigt das Beispiel der “traditionellen chinesischen Medizin” (TCM), eine mehrheitlich moderne westliche Schöpfung mit eingestreuter Fernost-Mystik. Wenn dann doch etwas wirklich traditionell ist, dann die Tatsache, dass die Therapieinhalte längst von der modernen Wissenschaft widerlegt sind.

Direkte Schäden entstehen auch durch oft nicht besonders sanfte chiropraktische Manipulationen 1.

Viele sogenannte Arzneimittel, die in der TCM eingesetzt werden, enthalten diverse Substanzen, die teilweise entweder schlecht untersucht, nicht deklariert, ungewollt beigemischt oder als Folge einer unsauberen Herstellung beigemischt sind2 3 4.

Direkte Schäden entstehen auch, wenn selbsternannte Youtube-Heiler Menschen dazu anstiften, toxische Mengen von angeblich “harmlosem” Vitamin D zu sich zu nehmen5 6 7 8.

Diese Liste könnte endlos fortgeführt werden, doch eines ist klar: Direkte Schäden durch Alternativmedizin sind nicht nur möglich, sondern sie kommen auch in erheblicher Anzahl vor. Die schönen Schlagwörter darf man sich sparen.

2. Verzögerte medizinische Behandlung

Die ungerechtfertigten und teils selbstherrlichen Heilsversprechen vieler Anbieter von Alternativmedizin locken die bisweilen verzweifelten Patientinnen und Patienten in ein Gefühl der falschen Sicherheit. Man versichert ihnen, dass sie mit ihrer Erkrankung in guten Händen sind und sie ohne “böse Chemie” (etc.) sanft, natürlich und traditionell (etc. ad nauseam) geheilt werden können. Dies mag im Falle einer selbstlimitierenden Erkältung unproblematisch sein. Doch wer eine weitere Surfrunde auf diversen Webseiten alternativer Therapieanbieter wagt, wird schnell einsehen, dass die allermeisten ihre Patienten nicht bei der Schnupfen-Kundschaft rekrutieren. Den Heilsversprechen sind keine Grenzen gesetzt. So spricht man Menschen mit Rheuma, multipler Sklerose und zahlreichen anderen ernsten und heute auch meist gut medizinisch behandelbaren Erkrankungen an. Wer denkt, dass es sich bei Rheuma nur um eine “Schmerzerkrankung” handelt irrt. Rheuma ist ein Überbegriff für zahlreiche Erkrankungen, die mehr oder weniger schnell diverse Organe des Patienten befallen und irreversibel zerstören. Multiple Sklerose mag vor mehreren Jahrzehnten noch unbehandelbar gewesen sein. Wer heute mit einer solchen Diagnose unnötige Verzögerungen provoziert, kauft sich mit jedem Jahr des Krankheitsfortschritt eine zunehmend unbezahlbare Hypothek ein.

Das gleiche Muster gilt (in kleinerem oder grösserem Ausmass) für alle angeblich alternativ “behandelbaren” Erkrankungen, sei es nun Bluthochdruck oder gar Krebs. Wer hier noch scheinheilig die vermeintlich versöhnlichen Bezeichnungen der komplementären oder integrativen Medizin (“zusätzlich” zur regulären medizinischen Behandlung) bemüht, irrt schwer: Die Patienten, die von evidenzlosen Alternativtherapeuten überredet werden, die “böse Chemie” abzusetzen, sind vielleicht nicht ganz die Norm, sicherlich aber auch keine Einzelfälle.

3. Ärzte als Trittbrettfahrer oder Trittbretter

Unter der breiteren Ärzteschaft scheint die Erkenntnis leider nur zögerlich anzukommen, dass die Bemühungen, Alternativmedizin “komplementär” zu “integrieren” mehr Schaden anrichtet, als es ein generelles Problem der Medizin in wohlhabenden Gesellschaften mitigiert. Die propagierte Idee ist, dass alternative Heilmethoden im Wissen und mit der Kooperation der behandelnden Ärztinnen und Ärzte erfolgt. Dass der Anteil an Patientinnen, die diese zweigleisige und entsprechend doppelt zeitaufwendige Behandlung befolgen, eine Minderheit ist, scheint nicht wahrgenommen zu werden. Wohlwollend verordnen diese dann eine “komplementäre” homöopathische oder sonstige Alternativtherapie und verleihen dem entsprechenden Therapieangebot ein offizielles medizinisches Gütesiegel, das es mitnichten verdient hat. Angesichts der realen Gegebenheiten und der oft feindseligen Attitüde vieler alternativer Therapieanbieter der Ärzteschaft gegenüber ist es allerdings höchste Zeit, dass Ärztinnen und Ärzte der nüchternen Wahrheit ins Gesicht schauen und der Alternativmedizin den Heiligenschein und das Feigenblatt abreisst.

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References

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