„Wenn du merkst, dass du auf einem toten Pferd reitest, steig ab“, besagt eine alte Indianerweisheit. Dies ist auch gleichzeitig die wichtigste Grundregel aller Wissenschaften. Wissenschaftler verwerfen eine Theorie, wenn sie sich als falsch erweist. Pseudowissenschaftler dagegen ergänzen falsche Theorien durch Zusatzannahmen, Spezialfälle und Untertheorien.
Astrologie ist die Königin der Pseudowissenschaften. Zwar interessierten sich die Astrologen nie sehr stark dafür, ob ihre Theorie funktioniert. Dennoch haben sie über die Jahrhunderte einen bunten Jahrmarkt wildester Spekulationen angehäuft, was alles auch noch in eine Horoskop-Berechnung einbezogen werden könnte.
Zunächst sind da natürlich die Sternzeichen. Die Gruppe von Sternen die zum Zeitpunkt der Geburt hinter der Sonne liegt, soll den Charakter eines Menschen bestimmen. Diese Behauptung konnte zwar nie bestätigt werden, ist aber die Grundthese der Astrologie. Leider bemerkte man etwa 500 n. Chr., dass sich die Sternzeichen scheinbar verschieben. Natürlich verschieben sich nicht die Sterne. Aber weil die Erdachse ein bisschen torkelt (präzessiert), steht z. B. beim Frühlingspunkt, also bei der Tag- und Nachtgleiche, die Sonne heute nicht mehr im gleichen Himmelsabschnitt, wie vor 2000 Jahren.
Dies führte zu einer Spaltung der Astrologie. Während einige wenige sich noch immer an den Sternen orientieren, nehmen heute die meisten Astrologen den Frühlingspunkt als Basis und definierten relativ zu diesem die 12 Tierkreiszeichen. Das Tierkreiszeichen Widder liegt z. B. dort, wo wir die Sonne bei der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche sehen. Widder heisst das Tierkreiszeichen deshalb, weil 300 v. Chr. das Sternbild Widder in diesem Himmelsabschnitt zu sehen war. Sonst hat der Abschnitt mit einem Widder nichts zu tun. Wobei das Sternbild Widder damals eigentlich noch LuHun.Ga genannt wurde1, was bekanntlich mit ‚Mietarbeiter’ übersetzt werden müsste. Einem Menschen die Widder-Eigenschaft Sturheit zuzuschreiben, ist deshalb geradezu grotesk. Denn das Sternbild, das man allenfalls mit viel Phantasie als Widder interpretieren könnte – oder eben als ein Mietarbeiter, der aussieht wie ein Widder -, liegt seit Jahrtausenden nicht mehr an der Stelle, an der es möglicherweise so auf ein Neugeborenes hätte einwirken können, dass da irgendwelche Eigenschaften hätten übertragen werden können.
Wenn wir von der Widder-haftigkeit einmal absehen, könnte eine Astrologie auf dieser Basis sogar fast vernünftig werden. Denn sie bezieht sich nun auf die Jahreszeiten, statt auf willkürliche Sternkonstellationen. Und es ist ja durchaus denkbar, dass ein Winter-Säugling, der von unserer Welt mit Dunkelheit und Kälte und Weihnachtskeksen empfangen wird, sich anders entwickelt, als ein Sommer-Spross, der zunächst einmal Glacé und Sonnenbrand kennenlernt.
Was tun Esoteriker, wenn ihre Theorie vernünftig zu werden droht? – Sie lancieren eine Zusatzthese, in diesem Fall den Aszendenten: Die Sterngruppe, die bei der Geburt gerade am Horizont auftaucht, soll auch einen Einfluss haben. Bzw. eben nicht die Sterngruppe, sondern das Vakuum, das heute in dem Bereich sichtbar ist, wo vor 2300 Jahren einmal eine Sterngruppe war.
Während die Sternzeichen von der Jahreszeit abhängen, hängt der Aszendent von der Geburtszeit und dem Geburtsort ab. Das leuchtet nun überhaupt nicht ein. Ein Neugeborenes erlebt eine Unmenge von Eindrücken. Vieles mag eine Rolle spielen. Aber weshalb soll da ausgerechnet der Stern wichtig sein, der in diesem Moment im Osten aufgeht? Spüren Sie, welcher Stern im Osten aufgeht? Wissen Sie überhaupt, wo Osten ist? – Möglicherweise spielt die Temperatur bei der Geburt eine Rolle. Oder der Luftdruck. Oder ob der Arzt kürzlich geraucht hat. Aber weshalb soll ausgerechnet der Stern im Osten so prägend sein, dass er uns ein Leben lang dominiert?
So grotesk die Idee vom Aszendenten auch ist, er gibt die ideale Ausgangsbasis für den Barnum-Effekt2: „Dein Sternzeichen lässt dich selbstbewusst und mutig erscheinen, aber vom Aszendenten her bist du eigentlich eher schüchtern und vorsichtig.“ Jeder mag selber aussuchen, ob bei ihm der Aszendent oder das Sternzeichen stärker wirkt. Die Aussage passt für jeden!
Als ob das noch nötig wäre, werden noch viele andere Faktoren in die Rechnung einbezogen:
- Die Winkelbeziehungen zwischen den Planeten, Sonne, Mond, Aszendent, dem Medium coeli (wo steht die Sonne heute am höchsten?). Zwischen diesen 13 Punkten gibt es bereits 78 verschiedene Winkel, 78 Möglichkeiten, das Gegenteil von dem zu behaupten, was man eben erst prophezeit hat.
- Weiter wird aber auch der Zustand der Planeten beachtet, nämlich die Rückläufigkeit und Domizilstellung, die ‚Verbrennung’ und die Hausposition. Damit vervielfacht sich die Anzahl möglicher Wenn und Aber noch einmal.
Aber ist dies denn nicht in allen Wissenschaften so? Wer versteht schon, was die Materialwissenschaftler, die Atomphysiker, die Chemiker in ihren Fachzeitschriften publizieren? Wissenschaften sind schwierig. Wenn die Astrologen so komplizierte Rechnungen durchführen, werden sie schon wissen, was sie da tun!
Der Punkt ist, dass Wissenschaftler von ganz wenigen Grundgesetzen ausgehen und ständig versuchen, diese wenigen Grundgesetze noch weiter zusammen zu fassen. Es gibt ein Gravitationsgesetz, mit dem die Bewegungen aller Sterne, Planeten und Kometen beschrieben werden, bis zu den Kanonenkugeln auf der Erde. Zwar ist es unsagbar schwierig, mit der einen Gleichung für die Gravitation ein System mit mehreren Planeten zu berechnen. Aber die Artilleriesoldaten erfinden nicht für jede Kanonenkugel eine zusätzliche Gleichung. Und wenn dieses Jahr zwei Schweizer den Nobelpreis gekriegt haben, weil sie Planeten ausserhalb des Sonnensystems gefunden haben, dann haben sie diese Planeten gefunden, weil das Gravitationsgesetz auch für diese Planeten gilt. Die Herren haben nämlich beobachtet, dass ein Stern rhythmisch wackelt und aus dem Wackeln auf die Anwesenheit von Planeten geschlossen. Eine Gleichung reicht. Die Komplexität liegt in der Anwendung, nicht in der Theorie.
Astrologen dagegen verkomplizieren ihre Theorie ständig mit weiteren Faktoren. Noch gar nicht erwähnt habe ich da:
- die Deklinationsparallele,
- die Mondknotenpunkte,
- die Halbsumme: Ein Planet, der zwischen zwei anderen Planeten oder Faktoren steht, verbindet diese zu einer Einheit, was wiederum auf magische Weise eine Uminterpretation der gesamten Konstellation zur Folge hat.
Wenn ein Wissenschaftler so eine Theorie sieht, solch ein Monstrum, bei dem für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue wachsen, ist ihm sogleich klar, dass die Theorie nichts taugt. Denn jeder Wissenschaftler kennt die Psychologie hinter dieser Vorgehensweise nur zu gut: Es tut schrecklich weh, eine schöne Theorie über den Haufen zu werfen, nachdem man sie mit soviel Herzblut gross gezogen hat. Jeder Wissenschaftler hat diese Situation schon erlebt und jeder kennt die Versuchung, ein bis zwei weitere Annahmen hinzuzufügen, um die Mangelhaftigkeit zu vernebeln. Das ist ja auch in Ordnung, wenn man das zunächst mal versucht. Aber wenn 13 verschiedene Objekte in unterschiedlicher Weise wirken, wenn man 78 verschiedene Winkel willkürlich mal berücksichtigt und mal nicht und wenn man darüber hinaus immer noch weitere Annahmen braucht, dann ist die Theorie definitiv gescheitert. Ganz abgesehen davon, dass es ja keinerlei empirische Belege für die Astrologie gibt.
References
- LuHun.Ga wird das Sternzeichen Widder im sumerich-babylonisch-assyrischen Kalender genannt https://de.wikipedia.org/wiki/Astrolab_B
- Zum Barnum-Effekt findet man viele gute Erklärungen, z. B.: https://de.richarddawkins.net/articles/astrologie-und-der-barnum-effekt
3 Comments on “Astrologie – Die Königin der Pseudowissenschaften”
Lieber Philipp
Natürlich hast du recht. Aber die Diskussion über astronomische Zusammenhänge in der Astrologie ist so müssig wie Rechnungen über die chemische Wirksamkeit von Globuli. Beides sind Darreichungsformen psychologischer Hilfe, genauso wie weisse Ärztinnen-Kittel.
Es gibt Dinge, die wir relativ gut verstehen wie den harmonischen Oszillator mit einer masselosen Feder. Und es gibt Dinge, vor deren Komplexität wir mit dem mikroskopischen Approach einfach kapitulieren und das Feld makroskopischen Beschreibungen überlassen müssen. Wer heilt, hat recht, sagt man. Aber dass die Form der Heilung besonders symmetrisch und einfach sein müsste, steht nirgends geschrieben.
Patrik
vielen dank, ist spannend, auch nett geschrieben. darf ich – auch wenn ich ein hartgesottener Skeptiker bin, was alle pseudowissenschaft anbelangt, auch die Astrologie – kurz teufelsadvokat spielen?
eine Korrelation von persönlichkeitseigenschaften mit DEM GEBURTSMONAT / QUARTAL würde ich ja zumindest erwähnenswert (und forschungswürdig) finden. es gibt schöne befunde in den etablierten wissenschaften dazu (Stichwort „march Peak“, „seasonality of birth“ und dann so sachen wie schizophrenia und leider halt auch noch 100 andere sachen)
ich hab das einmal „neurastrologie“ genannt, schliesslich gibt es ja auch eine neuroökonomie, eine neurotheologie etc. 🙂 und ich als fischgeborener habe eben selbst bei skeptischer Grundhaltung wohl doch von Geburt her einen kleinen hang dafür, typ-I-fehler typ-II-fehlern vorzuziehen…
mit gruss, Peter (schicke gerne Artikel auf mailanfrage hin)
@ Peter Brugger: Danke für den Hinweis. Von einem Zusammenhang des Geburtsmonats mit Schizophrenie habe ich noch nie gelesen. Dass die Jahreszeit auf den Charakter einen Einfluss haben kann, ist ja auch nachvollziehbar. Nur hängt dieser Einfluss nicht mit den Sternen zusammen, sondern eben mit der Sonneneinstrahlung und der Tageslänge. Ich wette, ohne den Artikel zu kennen, dass der Einfluss auf der Südhalbkugel gerade entgegengesetzt ist. Steht dazu im Artikel etwas? – Nach Astrologie müsste der Einfluss ja auf der Südhalbkugel in den gleichen Monaten bemerkbar sein. Das wäre wirklich eine Sensation, die mich aus den Socken hauen würde!
Ausserdem hat der Geburtsmonat natürlich einen Einfluss, wenn es um den Zeitpunkt der Einschulung geht oder den Wechsel in eine höhere Altersstufe in einem Sportverein. In der Schule gilt: Jünger eingeschulte Schüler/innen haben signifikant häufiger ADHS. Im Sport habe ich von Studien gelesen, dass die Nationalspieler signifikant häufiger diejenigen sind, die in den Junioren-Mannschaften immer zu den ältesten gehörten. Die durften einfach immer häufiger spielen, konnten sich im Spiel besser in Szene setzen und wurden auch mehr gefördert.