Ab Mitte September machte eine erschütternde Nachricht die Runde: Eine neue Studie zeige, dass Ratten, welche genetisch modifizierten Mais essen, an Krebs erkranken. Mancherorts wurde diese Botschaft mit Schockbildern, welche die betroffenen Ratten zeigen, untermalt, wie etwa bei 20minuten:
Die Nachricht, dass gentechnisch veränderter Mais solch drastische Folgen haben soll, bedient eine uns allen gemeine Angst: Wir greifen gravierend in die Natur ein und verändern Dinge so sehr, dass sie uns letztlich schaden und wir dadurch womöglich sogar unseren Untergang einläuten.
Dieses fast instinktive Unbehagen, diese Urangst rührt letztlich auch von der Intimität, die wir zu Nahrung haben: Dass das, was wir verzehren, um zu leben, uns auf brutale Art schaden kann, ist ein zutiefst unangenehmer Gedanke. Umso mehr lohnt sich ein prüfender Blick auf diese Genmais-Studie.
Die Studie: Aufbau, Methodik, Ergebnisse
Die interessierende Studie trägt den Titel «Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize» und wurde am 19 September im Journal «Food and Chemical Toxicology» veröffentlicht, einem wissenschaftlichen «Peer Review»-Journal.
Tabelle 1 auf Seite 2 fasst die Methodik der Studie zusammen:
Die Autoren vergleichen ihr Studendesign mit jenem einer Studie von 2004, bei welcher die Autoren zum Schluss kommen, der getestete Genmais sei unproblematisch. Die Autoren der Studie von 2004 arbeiten für die Herstellerfirma des Genmaises, den Biotechnologie-Giganten Monsanto.
In Tabelle 1 wollen die Autoren darstellen, dass ihre Untersuchung ausführlicher ist als jene Monsantos, und auch die OECD-Richtlinien für die Prüfung gentechnisch veränderter Lebensmittel erfüllt und übersteigt. Insbesondere ist zu bemerken, dass Untersuchungsdauer dieser Studie 24 Monate betrug, während die Monsanto-Studie nur ein 3 Monate dauerndes Experiment darstellt.
Der konkret untersuchte Mais ist ein Produkt Monsantos mit dem Kürzel «GMO NK603». Das ist eine modifizierte Maissorte, die gegen das Herbizid «Roundup» – ebenfalls ein Monsanto-Produkt – resistent ist. Der landwirtschaftliche Nutzen bzw. das Geschäftsmodell Monstantos sind somit nachvollziehbar: Der Maisertrag soll gesteigert werden, indem Roundup Unkraut vernichtet, nicht aber den dagegen resistenten Mais.
Die Autoren der Studie testen aber nicht bloss die allfällige Wirkung von Roundup-resistentem Mais gegenüber normalem Mais, sondern haben noch zwei weitere Testgruppen: Ratten, denen nur das Herbizid Roundup verabreicht wird (über Wasser), sowie Ratten, die mit Roundup-resistentem Mais gefüttert werden, welcher aber zusätzlich noch mit Roundup behandelt wurde (analog dem lebensweltlichen Szenario, unter welchem Roundup und der resitente Mais gleichzeitig zum Einsatz kommen).
Die wesentlichen Befunde beschreiben die Autoren schon in der Zusammenfassung:
Die Sterberate sei bei weiblichen Ratten durchgehend, bei männlichen Ratten in mehreren Testgruppen höher als bei den Kontrollgruppen. Weibliche Ratten haben in den Testgruppen deutlich öfter Brustkrebs entwickelt, und auch andere Organe sind in den Testgruppen stärker beschädigt worden.
Probleme der Studie
Relativ bald nach Erscheinen der Studie wurde kritisiert, dass die Autorengruppe rund um Professor Gilles-Eric Séralini prominente Kritikerinnen und Kritiker der Gentechnik seien und ihre Forschung darum grundsätzlich verzerrt, da ideologisch motiviert sei. Dem mag natürlich so sein, aber auch die Gegenseite, Monsanto, betreibt nicht Forschung ohne bestimmte strategische Motivation dahinter. Darum muss in erster Linie interessieren, wie der Inhalt der vorliegenden Studie zu bewerten ist.
In Abbildung 1 auf Seite 4 fassen die Autoren die Ergebnisse zu den Sterberaten der verschiedenen Ratten-Gruppen zusammen:
Auf den ersten Blick ist diese Grafik unspektakulär. Es wird lediglich dargestellt, wieviele Ratten in welchen Gruppen woran gestorben sind. Auf den zweiten Blick war aber (für mein fachfremdes Auge) unklar, welche Daten genau dargestellt werden. Die Unterscheidung nach männlichen und weiblichen Ratten ist einleuchtend, und ebenfalls klar ablesbar sind die drei Testgruppen (GMO, GMO+R, R). Wo sind aber die Kontrollgruppen versteckt?
Für jede Testgruppe sind je vier Grafiken vorhanden; pro Testgruppe zwei Grafiken, einmal für männliche und einmal für weibliche Ratten. Eine der Grafiken z.B. für GMO+männlich fasst in Balken zusammen, wieviele Ratten woran gestorben sind. «33», «22» und «11» geben an, wieviel Prozent der Nahrung aus Genmais bestand. «0» bedeutet entsprechend 0% – also die Kontrollgruppe. Für die Testgruppen, welche nur mit Roundup behandelt wurden, sind die vier Balken mit «0» (=Kontrollgruppe), «A», «B» und «C» angeschrieben. Die Buchstaben meinen verschiedene Grade der Roundup-Konzentration im Wasser, welches den Ratten verabreicht wurde.
Die Histogramme fächern jeweils die Daten aus den Balken aus, indem sie zeigen, wann wieviele Ratten gestorben sind. Hier entspricht die gestrichelte Linie den Kontrollgruppen.
Eine genauere Betrachtung der Balkendiagramme offenbart, dass in jeder Untersuchungsgruppe – z.B. GMO+männlich – insgesamt 40 Ratten vorhanden sind. Im Beispiel GMO+männlich sind also 10 Ratten in der Kontrollgruppe, 10 Ratten in der 11%-Gruppe, 10 Ratten in der 22%-Gruppe und 10 Ratten in der 33%-Gruppe.
Die Balkendiagramme haben eine schraffierte und eine schwarze fläche. Die schraffierte Fläche sind «spontane Todesfälle», die schwarze Fläche «Euthanasie». Für letztere Kategorie nennen die Autoren einige Gründe («tumors over 25% body weight, more than 25% weight loss, hemorrhagic bleeding, etc.»), ohne aber genauer zu differenzieren – das Töten der Ratten wird nicht als ethische Handlung ausschliesslich infolge zu starker Tumorbildung beschrieben.
Eine weitere Betrachtung der Kontrollgruppen zeigt eine Auffälligkeit: Die Anzahl verstorbener bzw. getöteter Tiere ist für die Kontrollgruppen immer dieselbe (3 für männliche, 2 für weibliche Ratten). Das kommt nicht zufällig: Die Autoren haben in Tat und Wahrheit nicht für jede Testgruppe korrespondierende Kontrollgruppen gebildet, sondern nur eine Kontrollgruppe für alle Testgruppen. Konkret bedeutet das, dass in den Testgruppen 180 Ratten waren, in der Kontrollgruppe aber lediglich 20.
Dieser Umstand macht die gesamten Ergebnisse praktisch nichtssagend, da die Zahlen für die zu kleine Kontrollgruppe einen verzerrenden Effekt haben – den die Autoren offensichtlich bewusst auch grafisch umzusetzen versuchten.
Das gleiche Problem ist in Abbildung 2 auf Seite 5 vorzufinden:
Das Vorgehen der Autoren wurde mittlerweile vielerorts kritisiert. Das Max-Planck Institut für Bildungsforschung hat die Genmais-Studie zur «Unstatistik des Monats» gekürt:
Bei derart kleinen Stichproben können Unterschiede in der Krebsmortalität sehr leicht allein durch Zufall auftreten. Sie sind im Sinne der mathematischen Statistik „nicht signifikant“, also nicht aussagekräftig genug, um auf einen ursächlichen Zusammenhang schließen zu können. Das lässt sich einfach anhand statistischer Tests nachweisen; das kann aber auch jeder daran erkennen, dass die Gruppe von Ratten, welche mit dem höchsten Anteil an Gen-Mais gefüttert wurde, tatsächlich die höchste (!) Überlebensrate hatte.
Die Zeitschrift NewScientist hat die Studie ebenfalls kommentiert:
Are the findings reliable?
There is little to suggest they are. Tom Sanders, head of nutritional research at King’s College London, says that the strain of rat the French team used gets breast tumours easily, especially when given unlimited food, or maize contaminated by a common fungus that causes hormone imbalance, or just allowed to age. There were no data on food intake or tests for fungus in the maize, so we don’t know whether this was a factor.
Weitere Mängel der Studie werden auf DiscoveryNews kritisiert:
One immediate problem, Newell-McGloughlin said, is that the line of rodents used in the study, known as Sprague-Dawley rats, are frequently used in cancer research because a large majority of them naturally develop tumors at a high rate, regardless of what they eat or how they’re raised.
What’s more, the rats were allowed to eat an unlimited amount of food, which increases their chances of developing tumors. And two is a very old age for these rats, which could account for the large rate of cancer seen across all groups, including the controls.
Es scheint relativ eindeutig, dass die Genmais-Studie nicht nur nicht aussagekräftig ist, sondern einen Versuch des bewusst manipulativen Studienaufbaus und der tendenziösen Interpretation der Ergebnisse darstellt.
Fazit: Ein Glaubenskrieg?
Zunächst muss den Massenmedien zugute gehalten werden, dass sie über die weitreichende Kritik an der Genmais-Studie weitgehend ebenfalls berichtet haben – sogar 20minuten. Der Schaden ist aber natürlich getan, denn die im Nachhinein dargestellte kritische Replik auf die Studie fügt sich nur allzu gut in die «David gegen Goliath»-Rahmung: Hier eine unerschrockene Forschergruppe, die nach der Wahrheit such, dort der Koloss Monsanto, der alle Hebel in Bewegung setzt, um das lukrative Geschäft zu schützen.
Anders, als der Skeptikergemeinschaft immer vorgeworfen wird, betreiben wir keine Propagande für «Big pharma» oder eben «Big biotech», und selbstredend sind nicht alle Geschäftspraktiken Monsantos (oder der Schweizer Firma Syngenta, dem grössten Biotech-Unternehmen der Welt, über das hierzulande gerne geschwiegen wird) pauschal wissenschaftlich oder ethisch korrekt. In diesem Fall scheint aber kein Argument vorzuliegen, die physiologische Unbedenklichkeit des Roundup-resistenten Genmaises GMO NK603 als widerlegt anzusehen.
2 Comments on “Beweist eine Studie, dass Genmais Krebs verursacht?”
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