Chiropraktoren auf Mode-Grosswildjagd

Denis UfferBlog, Humbug des MonatsLeave a Comment

Damen, eure Ohren seien gespitzt! Denn diesen Monat blicken wir zurück auf Aussagen von modebewussten Vertretern einer Heilung versprechenden Berufsgruppe, die gerne mal pauschal zu den Ärzten dazugezählt wird.

“Hosen ab!”, heisst per sofort der Schlachtruf, initiiert von der British Chiropractic Association (BCA)1, zumindest für diejenigen Frauen, die es ab und an etwas enger und geometrisch definierter um die Hüften mögen. Denn glaubt man der BCA, können diese bösen, sich an den weiblichen Körper schmiegenden Kleidungsstücke die Körper der Trägerinnen im höchsten Masse schädigen.

Frei nach Magritte: Das ist kein Blickfang, nein, das ist seriöser Journalismus!

Wie haben die das herausgefunden? Sie haben telefoniert. Na gut, mutmasslich hat eine Firma im Auftrag der BCA telefoniert. Unter anderem hat man die Frauen gefragt, ob sie sich dessen bewusst seien, dass Kleider ihre Gesundheit beeinflussen. Und, ich vermute mal in dieser Reihenfolge23, anschliessend hat man sie gefragt, ob sie eine Liste von Kleidern häufig tragen und zuletzt, ob sie Rückeschmerzen haben.Klingt nach einer gut durchdachten, objektiven, strukturierten Studie, nicht?

Und die Resultate, fragen Sie? Wir erhalten eine Top-5-Liste mit Gesundheitsverbrechern. An 4. Stelle: High Heels. Gottseidank gibt es die BCA, die diese längst vergessene Erkenntnis wiederentdeckt hat4. Wer hätte denn gedacht, dass High Heels auf die Dauer nicht gerade gesundheitsförderlich sind!?

Aber an 1. Stelle steht, wie versprochen: Skinny Jeans. Und das hat es auch in die 20 Minuten geschafft5, denn schliesslich kann man zu so einer Story gut ein Fotomodell mit gutgeformtem Po aufs Titelbild nehmen. Das wirkt sich gut auf die Leserzahl aus. Wer kann dem Anblick eines solchen Arikels denn widerstehen? Na eben.

Nun will ich aber die BCA nicht so rabiat vorverurteilen. Pflichtbewusst habe ich mich über ihre Kontaktadresse erkundigt, ob sie mir die Studie schicken könnten oder aber allenfalls die Rohdaten oder sonst was dezent brauchbareres als deren Medienmitteilung zur vertieften thematischen Auseinandersetzung zur Verfügung stellen könnten. Ich vermute deren E-Mail-Server ist wieder mal ausser Betrieb. Denn so gute Daten wird man mir sicherlich nicht verschweigen wollen.

Und das Restliche geht im 20min-Artikel nach altbekanntem Schema: Der Titel behauptet den offensichtlich unbelegten Humbug, dann folgt eine Anekdote (von einer armen Australierin – da haben die aber weit suchen müssen! -, die sich wohl in der Kleidergrösse vertan hat und ihren Po in ein zu enges Höschen reingequetscht hat6), um dann zwecks reinen journalistischen Gewissens pro forma noch einen Experten zu zitieren, der die Studie relativiert, nur um zuletzt dessen Kommentar nochmals zu relativieren. Damit hat 20 Minuten Humbug geschrieben.

Wir wissen ja alle, dass der durchschnittliche 20 Minuten-Leser (-Leserin), der das Blatt in 137 Sekunden liest (bevor es ihn langweilt), mit reduzierter Wahrscheinlichkeit überhaupt über das ablenkende Titelfoto hinauslesen wird – und schon gar nicht bis zum letzten, leicht kritischen Abschnitt. Ist ja auch nicht so, als wäre 20 Minuten für hochklassige journalistische Substanz bekannt.

Gesponsert ist die Studie von (ich weiss es nicht, aber ich postuliere mal, frei nach BCA-Stil)…
– British Baggy Pants Association (BBPA)
– Plus Size Kleiderhersteller “Big Mommy”
– Karl Lagerfeld im Drogenrausch
– random-study-hypothesis-generator.org: 1-Click Studiengenerator mit 100% Erfolgsgarantie. Wer lang genug im Datenrauschen sucht, der findet immer irgendwo ein Signal wo keines ist. Weitere wilden Thesen sind willkommen. Im Anschluss machen wir eine Telefonumfrage. Oder behaupten einfach, wir hätten eine gemacht und schreiben eine Medienmitteilung davon.

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References

  1. “Women’s back health suffering for the sake of fashion,” British Chiropractic Association, 14-Mar-2017. https://chiropractic-uk.co.uk/womens-back-health-suffering-sake-fashion/.
  2. 1615 L. Street, NW, S. 800 Washington, and D. 20036 202 419 4300 | M. 202 419 4349 | F. 202 419 4372 | M. Inquiries, “Questionnaire design,” Pew Research Center, 29-Jan-2015.
  3. W. D. Perreault, “Controlling Order-Effect Bias,” Public Opin. Q., vol. 39, no. 4, pp. 544–551, 1975.
  4. M. Linder and C. L. Saltzman, “A History of Medical Scientists on High Heels” Int. J. Health Serv., vol. 28, no. 2, pp. 201–225, Apr. 1998.
  5. Riebeling, Fee Anabelle. 03.04.2017. „Skinny Jeans Können Zu Rückenschmerzen Führen.“ 20 Minuten. http://www.20min.ch/wissen/gesundheit/story/Skinny-Jeans-koennen-zu-Rueckenschmerzen-fuehren-21368637.
  6. Riebeling, Fee Anabelle. 23.06.2015. „Knien Sie sich mit einer Skinny Jeans ja nicht hin!“ 20 Minuten. http://www.20min.ch/fitness/sportstyle/story/23900825.

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