Die wirre Welt der Finanzastrologie

Marko KovicBlog, Skeptiker-Blog1 Comment

The only function of economic forecasting is to make astrology look respectable.

Dieser bekannte, vom Ökonomen John Kenneth Galbraith geäusserte Spruch beinhaltet die Essenz auch der aktuellen Kritik an einigen gängigen wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen, bei denen Wirtschaftswissenschaft nicht mehr als Sozialwissenschaft, sondern im Wesentlichen als Naturwissenschaft behandelt wird.

Das mündet aber bald in Problemen, weil Ökonomie als eine der «Soft Sciences», also als eine der weichen Wissenschaften, ob der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes (kontingentes, d.h. nicht grundsätzlich berechenbares menschliches Handeln auf Mikro-, Meso- und Makroebene) eben nur retrospektiv analysieren und nicht prospektiv voraussagen kann, wie dies etwa Physik oder Chemie mit ihren Untersuchungsgegenständen tun (vgl. zu einer ausführlicheren Unterscheidung zwischen «weichen» und «harten» Wissenschaften «Nonsense on Stilts» von Massimo Pigliucci).

Die kritische Diskussion rund um Möglichkeiten und Grenzen der Wirtschaftswissenschaften ist wichtig und willkommen. In diesem Zusammenhang wirkt der Artikel, welchen der Tagesanzeiger am 28. August 2012 veröffentlichte, wie ein satirischer Kommentar auf die Hybris bestimmter ökonomischer Denkschulen:

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Leider ist der Artikel nicht Satire und der Inhalt nicht erfunden.

Die Pensionskasse des Kantons Zürich, BVK, hat 273 Millionen Franken verloren, welche sie bei der Investmentfirma «BT&T» angelegt hatte. In einem (noch nicht veröffentlichten) Bericht einer parlamentarischen Untersuchungskommission (bestehend aus Politikern unterschiedlicher Parteien) wird dokumentiert, dass die Firma «BT&T» einen Astrologen als Berater für Investitionstätigkeiten zur Hilfe zog. Darüber hinaus nahm der Astrologe offenbar Aufgaben im Personalwesen von «BT&T» wahr.

Der gemäss Tagesanzeiger-Artikel für die Anstellung des Astrologen Verantwortliche, Walter Meier, ist nach wie vor als Verwaltungsratspräsident bei «BT&T» tätig.

Der im Tagesanzeiger geschilderte Vorfall ist für sich genommen spannend. Er wirft aber auch einige weiterführende Fragen auf: Gehört die «Beratungstätigkeit» in der Finanzwirtschaft zum regulären Betätigungsfeld von Astrologinnen und Astrologen? Und vor allem: Warum lassen sich vermeintlich hoch gebildete Menschen wie z.B. Dr. Walter Meier von der «BT&T» von solchen Dienstleistungen überzeugen – kann es sein, dass Finanzastrologie tatsächlich «funktioniert»?

Astrologie: Eine Pseudowissenschaft

An dieser Stelle drängt sich ein kleiner erkenntnistheoretischer Exkurs auf. Oberste und wichtigste skeptische Grundhaltung ist Ergebnisoffenheit. Immer wieder erklingt aber das Klagelied, Skeptiker – oder allgemein, die Wissenschaft – seien überhaupt nicht ergebnisoffen, sondern wollten lediglich Dinge, die sie nicht verstehen, schlechtreden.

Die Überschrift dieses Abschnittes scheint dieses Bild zu bestätigen: Da schreibt ja einer völlig voreingenommen über Astrologie; ist ja klar, zu was für einem Ergebnis der Text letztlich kommen wird. In der Tat bin ich voreingenommen, und zwar in Anbetracht der Qualität der Argumente für die Gültigkeit von Astrologie. Hier eine Auswahl kritischer Auseinandersetzungen mit den Grundpfeilern der astrologischen Lehre:

Die Grundbehauptung der Astrologie, dass zwischen der Konstellation von Himmelskörpern (Sonne, Planeten und der Mond der Erde) und menschlichem Handlungspotential (um einen allgemeinen Begriff zu verwenden) eine Korrelation besteht, ist schlicht falsch. Dabei spielt es nicht Mal eine Rolle, ob behauptet wird, dass die im Rahmen der Astrologie als relevant erachteten Himmelskörper eine kausale Wirkung auf uns Menschen haben, oder, ob die Himmelskörper nur als angebliche Indikatoren im Rahmen eines deterministischen Universums genutzt werden (letztere Position erachte ich als besonders anmassend, weil Astrologie-Verfechter damit meinen, mit einigen wenigen Variablen den Wissensgehalt eines Laplace’schen Dämons zu besitzen).

Die Bewertung der Astrologie als Pseudowissenschaft scheint also gerechtfertigt: Diese Lehre ist widerlegt. Das bedeutet aber nicht, dass eine prinzipielle Ergebnisoffenheit nicht gegeben ist. Selbstverständlich ist es erlaubt, das gesammelte Wissen u.a. von Physik und Astronomie zu hinterfragen und zu widerlegen, sowie neue Beweise für die Gültigkeit der Astrologie vorzutragen. Solange dies nicht geschieht, hält Astrologie den Status einer Pseudowissenschaft – weil sie eine Lehre ist, die mit quasi-wissenschaftlichen Methoden Seriosität erhaschen möchte, auf tatsächliche wissenschaftliche Kritik aber nicht reagiert.

Die Prinzipien der Finanzastrologie

Schon eine kleine Suche auf Amazon offenbart, dass Finanzastrologie ein Phänomen mit einiger Verbreitung zu sein scheint:

astrotrading

Bereits diese Auswahl zeigt auf, worum es bei Finanzastrologie geht: Angebliche Anlagetipps für die Börse. Diese Einschätzung teilt z.B. auch «Astro Wiki»:

Ein Teilgebiet der Wirtschaftsastrologie, und damit der Mundanastrologie, welches die Entwicklungen an der Börse zum Thema hat. Dieses Wissen kann dann für Anlagen nutzbar gemacht werden.

Die genauen Methoden hinter einzelnen finanzastrologischen Ansätzen scheinen nicht identisch, aber im Kern ähnlich zu sein. Frank Felber, ein im deutschsprachigen Raum offenbar wichtiger Finanzastrologe, erklärt seinen Ansatz, der im Wesentlichen die Grundideen der Finanzastrologie widerspiegelt, in einem Video des Senders «Deutsches Anleger Fernsehen»:

Felber erklärt, dass ein Aktienindex einen auf die Minute bestimmbaren Geburtstag habe wie Menschen auch, und entsprechend die astrologischen Gesetze für Aktienindexe auch Geltung hätten.

Im englischsprachigen Raum scheint Raymond Merriman ein bekannter und einflussreicher Finanzastrologe zu sein. Auch die prominenteste Astrologin der Schweiz, Monika «Madame Etoile» Kissling, verweist auf Merriman, bzw. auf seine Produkte:

kissling merriman

Auf seiner Homepage erklärt Merriman seine Methode nicht explizit, sondern verweist auf seine Bücher, Prognosen, Software sowie Veranstaltungen, die käuflich zu erwerben sind (auch für Kunden aus der Schweiz).

Die Grundlage der Finanzastrologie nach Merriman scheint ebenfalls die Ansicht zu sein, dass nicht nur Menschen, sondern auch soziale Gebilde wie Staaten und Aktien einen «Geburtstag» haben und die Konstellation der für Astrologie relevanten Auswahl an Himmelsobjekten auch Aufschluss über die Zukunft dieser sozialen Gebilde gibt.

In diesem Text etwa erklärt Merriman die Problematik der US-Verschuldung und nutzt dafür eine Grafik, die explizit das Geburtsdatum der USA einberechent (S. 3):

Monika Kissling argumentiert ähnlich in einem Interview von 2009, in dem sie für das Beispiel der UBS den 08.12.1997 als «Basisdatum», also als Geburtstag, definiert.

Finanzastrologie: Auch eine Pseudowissenschaft

Die Lehre der Finanzastrologie ist auch als Pseudowissenschaft zu klassifizieren. Ein erster, logischer Grund dafür ist, dass Finanzastrologie die Behauptungen der «normalen», auf Individuen bezogenen Astrologie grundsätzlich akzeptiert und diese Lehre «erweitert». Es lassen sich aber einige bei Finanzastrologie ausgeprägtere Anhaltspunkte ausmachen, welche den Schluss nahelegen, bei Finanzastrologie handle es sich um Pseudowissenschaft.

Eine erste, ganz drängende Frage müsste auch für Nicht-Skeptische offensichtlich sein: Wenn Finanzastrologie tatsächlich Börsenentwicklungen voraussagen kann, warum sind die Finanzastrologinnen und -astrologen nicht selber steinreich? Warum sollten sie nicht selber ihr Wissen nutzen, um sich eine goldene Nase zu verdienen?

Nun, man könnte hier einwenden, dass in der Finanzastrologie-Branche Tätige eben nicht eigennützig sind, sondern ihr Wissen weitergeben wollen, damit andere davon profitieren. Dann stellt sich wiederum die Frage, warum sie ihr Wissen in verhältnismässig teuren Produkten verkaufen und nicht z.B. nur eine geringe Gewinnbeteiligung einfordern.

Auf inhaltlicher Ebene fällt rasch auf, dass die finanzastrologischen Prognosen nicht etwa genaue Angaben sind, sondern schwammige, mehrdeutige, unspezifische Beschreibungen. In seinem aktuellen Wochenkommentar z.B. schreibt Merriman dazu:

You never know exactly in what sectors of human activity these aspects will strike, if at all, for they are sudden and accompanied by surprise and usually shock (or excitement). So consider this more of an alert than a hard prediction. In fact, I don’t really enjoy the business of prediction. But as a market timer, it’s hard to avoid, since market timing by its very nature is akin to a leading indicator, and the idea of a forecast of something that has an unusually high probability of occurrence– but not inevitability.

Es kann so kommen, muss aber nicht. Ähnlich schwammig-nichtssagend äussert sich auch der Finanzastrologe Claude Weiss von «Astrodata» in einem Interview mit 20minuten.
Das ist die typische «Cover all bases»-Strategie der Astrologie, mit der immer etwas irgendwie zutrifft und es im Nachhinein sehr einfach ist, eine angeblich korrekte Prognose herbeizureden. So beschäftigen sich die Finanzastrologen, mit denen ich mich ein wenig auseinandersetzte, denn auch viel stärker mit vergangenen als mit zukünftigen Börsenentwicklungen: Es soll der Anschein erweckt werden, dass die vergangenen Entwicklungen ganz eindeutig finanzastrologisch erklärbar sind, und darum entsprechend auch die Zukunft ein offenes Buch sei.

Fazit: Warum, warum, warum…

In einem Interview mit «CASH» erklärte Merriman anlässlich eines Besuches in Zürich, dass seine Zuhörer- und Kundschaft nicht nur aus Individuen besteht, sondern auch aus Personen aus «institutionellem» Umfeld, sprich Unternehmen wie z.B. Banken.

Der Umstand, dass es Menschen gibt, grundsätzlich gut ausgebildete, als  «intelligent» geltende Menschen, die an Finanzastrologie glauben, überfordert meine Vorstellungskraft. Wer skeptisch durch den Alltag geht, ist sich Einiges gewohnt: Angebliche Wunderheiler, die meinen, durch Handauflegen Krebs zu heilen; Neureligiöse, die einem erklären, die Welt sei 6000 Jahre alt; Medien, die dies und das aus dem Jenseits zu channeln behaupten – und alle finden sie ein Publikum, und in der Regel ist zumindest ansatzweise nachvollziehbar, warum diese Publika an diese Dinge glauben.

Finanzastrologie aber ist ein Phänomen, welches in seiner Absurdität surreal wirkt. Dieser groteske Widerspruch zwischen dem Wissen um Börsenmärkte als moderne,  durch zahlreiche menschliche Handlungen hervorgebrachte Einrichtung auf der einen, der kruden esoterischen Astrologielehre auf der anderen Seite, ist schlicht nicht miteinander vereinbar; egal, wie viel Energie in die Tilgung kognitiver Dissonanzen investiert wird.

Es wäre durchaus reizvoll, Finanzastrologie als Anzeichen für die mangelnde wissenschaftliche Güte der Wirtschaftswissenschaften zu deuten: Wo Fachidioten herangezüchtet werden, welche zwar einen Hochschulabschluss in der Tasche haben, aber kritisches Denken nicht beherrschen, müssen die Alarmglocken läuten.

Das mag im Grunde auch stimmen, eine solche Kritik ist aber fächerübergreifend angebracht – wie viele in Medizin, Physik, Chemie, Biologie Ausgebildete z.B. verfallen dem Glauben an Homöopathie?

Das Phänomen der Finanzastrologie bedarf einer genaueren Untersuchung. Als vorläufig einzige plausible Erklärung scheint mir: Gier.

Gängige Begründungen für die anhaltende Beliebtheit der Astrologie, z.B. der berühmte «Barnum»-Effekt, sind bei Finanzastrologie kaum anwendbar. Das Einzige, was diesen Humbug attraktiv machen kann, so meine ich, ist die Aussicht auf maximalen Reichtum mit minimaler Anstrengung.

Sollte meine Hypothese zutreffen, hätte ich auch schon eine Geschäftsidee für einen lukrativen neuen Astrologie-Zweig: Astro-Lotto – weil maximale Gier auch maximale Ignoranz bedeutet.

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One Comment on “Die wirre Welt der Finanzastrologie”

  1. Das Problem mit Astrologie ist, dass sie nicht auf Rationalität basiert und daher auch nicht auf diese angewiesen ist. Das selbe gilt natürlich auch für Religionen. Eine rationale Argumentation ist leider völlig wirkungslos. Von allen Nutzen, die Produkte oder Dienstleistungen haben können, sind Magie und Esotherik wohl die abstraktesten. Wertlos für alle, die sich damit kritisch auseinandersetzen. Gleichzeitig das höchste Gut für diejenigen, die daran Glauben. Es kommt nur auf die Zielgruppe an.

    Stichwort DAX: Dieser ist nur eine Aufsummierung von einer Auswahl von Aktien – im Grunde eine mathematische Formel. Wie kann eine Formel ein Geburtsdatum haben?

    „egal, wie viel Energie in die Tilgung kognitiver Dissonanzen investiert wird“ made my day 🙂

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