Diskutieren wenn das Klima nicht stimmt

Denis UfferBlog1 Comment

Wer in den letzten Jahren den Charakter öffentlicher Diskussionen zu diversen politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Themen verfolgt hat, wird kaum den Eindruck vermeiden können, dass die Diskussionen inhaltlich ausgedünnt sind, das Gesprächsklima zunehmend rau ist und die Bereitschaft zum Kompromiss sowie zum Wechsel eigener Überzeugungen abnimmt. Gehe es nun um den Klimawandel, die Migrationskrise, Minderheitsrechte oder aktuell auch die Handhabung der Corona-Pandemie: moderate Meinungen scheinen zwischen den lauten Rufen der jeweiligen Extrempole im öffentlichen Diskurs kaum vernehmbar zu sein.

Bild: pexels.com

Nun möge der Optimist erwidern, dass dies nur eine falsche Wahrnehmung sei, da die Extreme lediglich für bessere Schlagzeilen und Clickbait taugen. Doch damit ist das Problem kaum vom Tisch. Denn genau diese Extremschlagzeilen definieren in einem relevanten Ausmass den öffentlichen Diskurs, ob sie nun die Realität oder eine Verzerrung davon abbilden.

Oft fällt auch der Begriff der Filterblase, die schuld am polarisierten Diskurs sein soll. Deren Existenz und Effekt auf den Zustand des öffentlichen Diskurses ist allerdings wissenschaftlich nicht unumstritten.

Das Ausmass und die Ursachen der politischen und gesellschaftlichen Polarisierung in sogenannten “westlichen Staaten” kann also zur Diskussion stehen. Je nach Methodik können Studien, die diese zu messen versuchen, auch zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Zudem gibt es Themen, die viel stärker polarisieren als andere. Wir wollen an diesem Punkt nicht zu stark auf die Methodik der Quantifizierung solcher Polarisierung eingehen. Vordergründig wollen wir versuchen, zu beobachten, welche Faktoren zu einer Polarisierung führen und die damit verbundene giftige Diskussionskultur begründen.

Emotionale Antriebe

Wer schon einmal an einer schwierigen Diskussion beteiligt war, hat sicherlich erkannt, dass diese inhaltlich spätestens dann entgleist, wenn Emotionen hochkommen. Doch genau die Emotionen sind es, die schwierige Diskussionen oft kennzeichnen. Eine Diskussion, die bei keinem Teilnehmer Emotionen auslöst, kann auch kaum ins unkonstruktive entgleisen. Doch woher kommen die Emotionen, die Diskussionsteilnehmerinnen dazu verleiten, die Fakten aus den Augen zu verlieren und bis hin zu persönlichen Beleidigungen zu gehen?

Diverse emotional geladene Themengruppen zeigen auf, wie und warum Diskussionen entgleisen können:

  • Flüchtlingsdebatte, Migration, Integration
  • Medizin vs. Alternativmedizin
  • Glaubensfragen
  • Sexualität, Geschlecht, Gleichstellung
  • u.v.m.

Glaubensfragen

Dass religiöser Glaube in Bezug auf Abtreibungen und Sterbehilfe ein grosses Hindernis für eine konstruktive Diskussion darstellt, liegt auf der Hand. Dennoch müsste dies nicht sein. Spielen wir denn wirklich Gott, wenn wir bei einem schwerkranken Menschen die lebensverlängernden Massnahmen stoppen? Oder spielte man vielleicht Gott als man diese überhaupt begann? Spielen wir nicht ohnehin Gott, wenn wir unsere ursprüngliche “natürliche” Lebenserwartung dank medizinischem Fortschritt von drei auf über acht Jahrzehnte verlängern?

Selbstverständlich gibt es hier auch unüberwindbare Hindernisse: Wenn jemand der Überzeugung ist, dass die Seele mit der Befruchtung der Eizelle entsteht, dann gibt es keine verwertbare Diskussion über die Zulässigkeit der Abtreibung.

Hier zeigt sich: Je weniger ein Gespräch auf unwiderlegbaren Glaubenskonstrukten abstützt, desto besser stehen die Chancen für einen konstruktiven Dialog.

Glaube spielt nicht nur bei religiösen Themen eine Rolle. Im weiteren Sinne kann man auch von einem Glauben (oder einer festen Überzeugung) reden, wenn jemand eine gefestigte Grundannahme hat, die nicht bewiesen oder nicht beweisbar ist.

Migration und Integration

Dies kann bei der Migrationsdebatte – hier vielleicht etwas überspitzt dargestellt – beobachtet werden: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die alle Migranten als Profiteure sehen, die nur von reichen westlichen Staaten profitieren wollen. Demgegenüber stehen andere, die der Meinung sind, dass die Migranten ausnahmslos hilfsbedürftige Menschen sind, die für sich eine bessere Zukunft wollen und bereit sind, sich in der empfangenden Gesellschaft zu integrieren und ihren Beitrag leisten wollen. Wenn die Diskussion schon so beginnt, ist kaum zu erwarten, dass man je zu den Nuancen kommt, die es erlauben würden, über Faktoren zu diskutieren, die die Integration erleichtern oder wie man hierfür Anreize setzt. Auch wird man kaum dazu kommen, differenziert zu diskutieren, ob die Herkunftskultur bei der Integration eine Rolle spielt und wie man letztere individuell erleichtern könnte. Die Diskussion ist entgleist, jegliche Nuance im Keim erstickt.

Auch die aktuelle Debatte über das Verhüllungsverbot in der Schweiz ist geprägt von extremen Argumenten auf beiden Seiten. So hört man von Gegnern einerseits, dass das Tragen einer Gesichtsverhüllung ein selbstbewusster Entscheid emanzipierter gläubiger Musliminnen sei. Oder aber dass die Befürworter nicht aus Sorge um das Wohl möglicherweise unterdrückter Frauen, sondern aus Xenophobie für ein Verbot seien. Befürworter bezichtigen Gegner wiederum des Kulturrelativismus und des selektiven Feminismus. Dass solche Argumente nicht zu einer fruchtbaren Debatte beitragen, ist offensichtlich.

Wohlwollende vs. böswillige Interpretation und Unterstellungen

In vielen Diskussionen begegnet man Gesprächspartnern, die einem Meinungen und Überzeugungen unterstellen, die man gar nicht vertritt. Dies zeigt beispielhaft die obenstehende überspitzte Formulierung der Migrationsdebatte. Kaum ein Gegner der “unkontrollierten Immigration” sieht alle Immigranten als böse oder gemeingefährlich. Und kaum eine Befürworterin der grosszügigen Aufnahme von Migranten wird sie alle als homogen gut und positiv einschätzen. Doch ist der Gesprächsbeginn nur schon leicht emotional geladen, wird der eine schon des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit, die andere der Gutgläubigkeit und ideologischen Verblendung bezichtigt.

Ähnlich verhält es sich in der Diskussion um Alternativmedizin. Wenn der Befürworter mit den Versäumnissen der Pharmaindustrie, der angeblichen Käuflichkeit der Ärzteschaft und deren vorgeblichen Empathielosigkeit startet, wird die eine evidenzbasierte Medizin befürwortende Ärztin kaum dazu neigen, gute Absichten beim Gesprächspartner zu suchen. Viel mehr wird sie ihm darlegen, dass er mit seinen Methoden kranke Menschen von wirksamen Therapien abhält und ohnehin nur aufs Geld aus ist, ihm die Heilung seiner Kunden hingegen wurscht sei. Dass der Alternativmediziner vielleicht gute Absichten hat und empathisch auf seine Kunden eingeht, seine Methoden aber aus wissenschaftlicher Sicht verwerflich sind (vielleicht etwas diplomatischer formuliert) dürfte nach einem solchen Gesprächseinstieg kaum gesagt werden.

Identitätsfragen und unveränderliche persönliche Merkmale

Ein grosser emotionaler Trigger versteckt sich auch in Themen, die die persönliche Identität angehen. So dürfte eine Diskussion zwischen Gegnern und Befürwortern spezifischer Gleichstellungsmassnahmen einen äusserst schwierigen Start haben. Nehmen wir das Beispiel von Frauenquoten: Ob die Gründe der Gegner nun deren Frauenfeindlichkeit oder doch inhaltliche Aspekte sind, dürfte unter ebensolchen Vorwürfen schnell untergehen. So könnte z.B. in der Diskussion die Tatsache nie zum Zuge kommen, dass die Gegner keinesfalls gegen Frauenförderung und Gleichstellung sind, nur die Verwendung von Quoten als nicht zielführend halten. Und Befürworter werden kaum formulieren können, welche Faktoren für Frauen im Berufsleben ein Hindernis sein könnten und warum und mit welchen Massnahmen diese korrigiert werden sollten.

In den folgenden Artikeln wollen wir uns detaillierter mit der Problematik schwieriger Diskussionen befassen und anhand konkreter Beispiele überlegen, wo welches Verbesserungspotential ausgeschöpft werden kann.

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One Comment on “Diskutieren wenn das Klima nicht stimmt”

  1. Zum Thema Glaubensfragen sei das Buch „GOTT“ von Ferdinand von Schirach empfohlen. Zentrales Thema: „wem gehört unser Leben und Sterben?“

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