Gentechnik Teil 2: Die frühen menschliche Eingriffe

Jean-Marc NeuhausBlog, Wissenschaftliche MethodikLeave a Comment

Dies ist Teil 2 von 4 der Gentechnik-Serie Alte und neue Gentechnologien im Vergleich.

Zusammenfassung

  • Spontanmutationen erzeugten die genetische Vielfalt, die die Selektion der kultivierten Pflanzen und Tieren aus Wildvorfahren ermöglichten. 
  • Aus spontanen Kreuzungen selektionierten die frühen Bauern die alten Kulturpflanzen und Haustieren. Später wurden aus gezielten Kreuzungen gezielt gewünschte Eigenschaften selektioniert.
  • Bei Kulturpflanzen kann man auch gewünschte Gene/Eigenschaften aus verwandten Wildpflanzen einkreuzen. Neben den gewünschten Genen bleiben aber immer eine grössere Zahl anderer unerkannter Gene im Genom der Pflanze, deren Auswirkungen unbekannt ist.
  • Man kann seit hundert Jahren die genetische Vielfalt durch künstliche Mutagenese vergrössern, um neue Eigenschaften zu erhalten. Dabei werden durch Chemikalien oder Bestrahlung vieltausendfach mehr Mutationen erzeugt, als spontan geschehen. So hat man mehrere wertvolle neue Eigenschaften entdeckt, die in unseren Kulturpflanzen eingeführt wurden. Neben den gewünschten Mutationen bleiben aber immer eine grössere Zahl anderer unerkannter Mutationen im Genom der Pflanze, dessen Auswirkungen unbekannt ist. 
  • Diese gentechnologischen Verfahren haben sich als sicher erwiesen und werden deshalb nicht reguliert.

Spontanmutationen erzeugten die genetische Vielfalt, die die Selektion der kultivierten Pflanzen ermöglichten.

Diese Vielfalt hat es über Jahrtausende ermöglicht, Kulturpflanzen aus Wildformen zu entwickeln: nichtgiftige Kartoffeln, Kürbisse oder Raps, riesige Maiskolben, riesige samenlose Bananen, riesige süsse Wassermelonen, oder aus dem gleichen Wildkohl die wunderbare Vielfalt von Grünkohl, Rotkohl, Krauskohl, Federkohl, Rosenkohl, Blumenkohl, Broccoli, Romanesco oder Kohlrabi. Alle heutigen Hunderassen, Chihuahuas, Bernhardiner, Zwergdackel, Windhunde oder deutsche Doggen stammen von Wölfen ab.

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Bild 4. Wild- und Kulturpflanzen
Durch Selektion spontaner Mutationen über Jahrtausende sind aus Wildpflanzen unsere Nutzpflanzen entstanden. Der Teosinte (links im Bild) hat nur wenige hartschalige schwarze Samen, ist aber der Wildvorfahre des Mais (Mitte, ein Hybrid von Teosinte und Mais, rechts eine moderne Hybridsorte). Die Wildbanane ist voller Samen. Die wilde Wassermelone ist klein, farblos und bitter.

Zuerst ungezielte, später gezielte Kreuzungen

Während Jahrtausenden hatten die Menschen keine Ahnung von Genetik. Die Kreuzungen entstanden spontan, aber die Menschen suchten aus und vermehrten die besten Tiere oder Pflanzen für ihre Bedürfnisse. Diese künstliche Selektion führte zur Domestikation und zur Sortenvielfalt unserer Nutztiere und -pflanzen.

Seit dem 19ten Jahrhundert werden gezielte Kreuzungen angewandt. Dank der Entdeckung der Vererbungsgesetze im 19ten und 20ten Jahrhundert wurden die Kreuzungen mit Hilfe von Genkarten gezielter und effizienter. Dank der Entschlüsselung der Genomsequenzen vieler Sorten der gleichen Art im 21ten Jahrhundert ist die Effizienz nochmals gesteigert worden.

Einkreuzung aus einer anderen Art

Bei Pflanzen sind die Barrieren zwischen Arten nicht so dicht wie bei vielen Säugetieren. Es ist also möglich, Kulturpflanzen mit verwandten Wildarten zu kreuzen. Das wird insbesondere gemacht, um Resistenzen gegen Krankheiten oder Schädlinge in die Kulturpflanze einzubringen. Die erste hybride Generation hat je eine Kopie der Chromosomen der Kultur- und der Wildart. Um möglichst wenige Gene der Wildart zu behalten und die gewünschten Eigenschaften der Kulturpflanze wieder zusammenzukriegen, kreuzt man wiederholt die Nachkommen dieser Hybride mit der Kulturpflanze, und wird so bei jeder Kreuzung ungefähr die Hälfte der Wildgene los. 

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Bild 5. Einkreuzung aus einer anderen Art
1. Zeile: Eine Wildart hat ein Resistenzgen (R) gegen eine Krankheit. Um es in die Kulturpflanze einzubringen, kreuzt man die zwei Pflanzen miteinander.
2. Zeile: Die nächste Generation besteht aus Hybridpflanzen, die von jedem Paar ein Chromosom der Wildpflanze und eins der Kulturpflanze besitzt.
3. Zeile: Um die Kulturpflanze mit dem Resistenzgen zu bekommen, kreuzt man die Hybridpflanze mit der Kulturpflanze und wird so einen Teil der Gene der Wildpflanze los.
4. Zeile: Nach mehreren Rückkreuzungen erhält man eine Kulturpflanze, die um das Resistenzgens nur noch ein kleines Chromosomenstück der Wildpflanze besitzt.

Wenn man bei der Tomate 99% der Wildart-DNA weggekreuzt hat, verbleiben immer noch 8 Millionen DNA-Basenpaare, oder ca. 350 Gene, die die Eigenschaften der Tomate beeinträchtigen könnten. Da sie vorwiegend Nachbarn des eingekreuzten gewünschten Gens sind, kann man sie kaum loswerden. Viele Sorten unserer Kulturpflanzen enthalten also mehrere Gene einer (oder mehrerer) anderen Art.

Übrigens: Auch bei den Menschen gab es solche Einkreuzungen: Alle Menschen (ausser die meisten Schwarzafrikaner) haben ein paar Prozent DNA von Neandertalern geerbt. Manche Menschen haben auch noch Gene einer zweiten Menschenart (der Denisova-Menschen) geerbt.

Induzierte Mutationen

Da die gesuchten positiven Mutationen zu selten waren, haben die Züchter seit hundert Jahren Mutagenese-Methoden angewandt. Dies ist die älteste Art Gentechnologie, bei welcher bewusst genetische Änderungen ausgelöst werden. Diverse Chemikalien oder UV-Strahlen können Punktmutationen oder Chromosomenbrüche verursachen. Bei der Reparatur der Chromosomenbrüche werden die Enden zusammengeflickt, wobei häufig Indels entstehen. Radioaktive Strahlen können Chromosomenbrüche oder auch grössere Deletionen verursachen. Mit beiden Methoden werden in kurzer Zeit sehr viele Mutationen in den exponierten Lebewesen produziert, dessen Auswirkungen dann selektioniert und studiert werden. Durch wiederholte Kreuzungen kann man wiederum die gewünschten Mutationen von den meisten anderen trennen.

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Bild 6. Mutagenese
Pflanzen werden radioaktiv bestrahlt, oder ihre Samen werden mit einer Chemikalie behandelt, die die DNA schädigt. Dadurch werden Hunderte, Tausende oder gar Zehntausende zufällige Mutationen verursacht. Man entdeckt, dass eine dieser Pflanzen eine gewünschte Eigenschaft besitzt, die man dann durch Rückkreuzungen in die Kulturpflanze einführt. Dank der Rekombination werden Teile der mutagenisierten Chromosomen durch nicht-mutagenisierte Teile ersetzt. Nach mehreren Kreuzungen sind die Chromosomen mutationsfrei, bis auf einen kleinen Teil des Chromosoms, das die gesuchte Mutation trägt. Es verbleiben aber weitere Mutationen in dessen Nachbarschaft, die möglicherweise ungünstig sind.

Wie viele Mutationen durch Bestrahlung in einzelnen Pflanzen produziert werden, ist nicht so klar, aber eine neue Studie (2023) einer chemischen Mutagenese hat sehr genaue Zahlen geliefert. Raps hat eine sehr begrenzte genetische Diversität. Ziel der Arbeit war, diese zu erhöhen und neue interessante Mutationen zu finden. Nach der chemischen Mutagenese wurden die Genome von ca. 2000 Pflanzen sequenziert. Pro Pflanze wurden ca. 72’000 Punktmutationen und 22’000 Indels (also Narben von Chromosomenbrüchen) sowie einige grössere Chromosomenänderungen gefunden. Ca. 12’000 Mutationen ändern die Sequenz von Proteinen, könnten also deren Funktion ändern oder zerstören. Viele der sonstigen Mutationen könnten auch die Regulation der Gene verändern. Durch Kreuzung mit nicht-mutagenisierten Pflanzen kann man jetzt die positiven Mutationen selektionieren. Allerdings werden benachbarte Mutationen zusammenbleiben. Auch wenn 99% der Mutationen weggekreuzt werden, bleiben also immer noch ca. 900 Mutationen in den Rapspflanzen, wovon ein paar eher negativ sein könnten.

Beide Mutagenese-Methoden wurden seit hundert Jahren benützt und haben tatsächlich positive Mutationen hervorgebracht. Viele unserer jetzigen Sorten haben mutagenisierte Vorfahren, etwa die meisten Pasta-Hartweizensorten oder die roten Grapefruits. Die zahlreichen zusätzlichen Hintergrund-Mutationen haben sich als unbedenklich erwiesen. Es handelt sich also um Gentechnologie-Methoden, die wegen der längeren Erfahrung als harmlos betrachtet werden („history of safe use“) und von den GVO-Regelungen der EU und der Schweiz ausgeschlossen wurden.


Referenz der Studie zur Mutagenese bei Raps: Jhingan, S., et al. (2023). Direct access to millions of mutations by whole genome sequencing of an oilseed rape mutant population. Plant J. 113, 866-880.


Zum Autor Jean-Marc Neuhaus

  • 1982 Dr. phil. in Biochemie, Biozentrum Basel
  • Seit 1984 Pflanzen-Zell- und Molekularbiologe
  • 1995-2018 Professor für Biochemie und Molekularbiologie, Universität Neuchâtel

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