Gentechnik Teil 4: Neue Gentechnologien

Jean-Marc NeuhausBlog, Wissenschaftliche MethodikLeave a Comment

Dies ist Teil 4 von 4 der Gentechnik-Serie Alte und neue Gentechnologien im Vergleich.

Zusammenfassung

  • Die Neuen Gentechnologischen Techniken (NGT) sind Mutagenese-Methoden, die unter anderem die „Genschere“ CRISPR/Cas benützen. Es handelt sich um ein mit RNA „programmiertes“ Enzym, dass DNA nur an der diesem RNA entsprechenden Stelle schneidet. Dieser Chromosomenbruch wird, wie spontane Chromosomenbrüche, meistens fehlerhaft geflickt, was zur Inaktivierung eines Gens führen kann. Dieser „Narbe“ sieht man nicht an, ob sie von der Reparatur eines spontanen oder induzierten Chromosomenbruchs stammt.
  • Abgewandelte Enzyme können ohne Chromosomenbruch an der „programmierten“ Stelle einen Buchstaben durch einen anderen ersetzen, was die Funktion eines Gens gezielt verändert. Diese Mutation ist von einer spontanen Punktmutation nicht unterscheidbar. 
  • Es ist auch noch möglich, in den CRISPR/Cas-Chromosomenbruch ein zusätzliches Gen einzusetzen. Damit erreicht man eine gezielte Cis- oder Transgenese.
  • Die durch CRISPR/Cas gemachten Punktmutationen oder „Narben“ werden in den USA, Kanada, Australien, Japan und ein paar weiteren Staaten als harmlos betrachtet und fallen nicht unter die strenge GVO-Regulation der Transgenese. Entsprechend sind schon einige Pflanzenprodukte auf ihren Märkten im Verkauf.
  • Das Europäische Parlament hat entschieden, dass diese Mutationen auch in der Europäischen Union weniger streng reguliert werden sollen als die bisherigen GVOs. Die neue Kommission und die Mitgliedsländer haben sich aber noch nicht festgelegt. Auch in der Schweiz wird über eine weniger strenge Regulierung der neuen gentechnologischen Techniken debattiert.

Neue Gentechnologie: Genomedition

Die seit vierzig Jahren benützten und bewährten «alten» Gentechnologien haben Nachteile: 1. Man kann keine Gene verändern oder ersetzen, sondern nur Gene hinzufügen. 2. Die zusätzlichen Gensequenzen werden ungezielt irgendwo in einem Chromosom der transformierten Organismen eingesetzt. Man muss dann aus einer grösseren Anzahl Linien diejenigen herausfiltern, die das Transgen gut exprimieren und keine schädliche Mutation am Ort der Insertion erlitten haben. Deshalb sind die neuen Methoden, die ab 2000 entwickelt wurden, und vor allem seit 2012 die CRISPR Methoden sehr erfolgreich. Sie werden rasant diversifiziert und verbessert.

Bakterien haben verschiedene Systeme, um sich gegen Viren zu schützen. Beim CRISPR-System sammeln sie Bruchstücke der Genome von gescheiterten Viren. Bei einer nächsten Attacke dienen diese Bruchstücke zur Erkennung des Virus, sie zeigen dem Enzym Cas9 an, wo die virale DNA zu schneiden ist. Es handelt sich also um ein programmierbares Enzym (eine «Schere»). Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna haben 2012 gezeigt, dass man das Programmieren nutzen kann, um eine beliebige Sequenz in einem Genom gezielt zu schneiden. Sie haben für diese Entwicklung 2020 den Nobel-Preis für Chemie erhalten. Dieser Chromosomenbruch wird von der Zelle wie spontane Chromosomenbrüche geflickt, was meistens zu einer Mutation (einer «Narbe», siehe Teil 1) führt. Damit kann man zum Beispiel Gene inaktivieren, die Pflanzen für ein Pathogen empfindlich machen. Bei jedem Chromosomenbruch gibt es eine andere „Narbe“, man wählt dann eine zur Weiterzüchtung aus. 

Eine veränderte Version der CRISPR/Cas9 Methode erlaubt es, die Sequenz der Reparatur zu diktieren. So kann man einen oder mehrere Buchstaben gezielt austauschen, um das Gen zu verändern. In einer Weiterentwicklung der CRISPR/Cas Enzyme gibt es keinen Chromosomenbruch, sondern es wird nur eine Base (Buchstaben) ausgetauscht (zum Beispiel C durch T). Dies entspricht den spontanen oder induzierten Punktmutationen.

Man kann auch noch CRISPR/Cas benützen, um ein neues Gen an einer ausgesuchten Stelle einzuführen. Es handelt sich dann um eine gezielte Cis- oder Transgenese. Damit ist ein Schwachpunkt der älteren Transgenese eliminiert.

Bei der ersten Methode geschieht also das gleiche, wie bei spontanen oder provozierten (Mutagenese) Chromosomenbrüche. Die erzielten Mutationen („Narben“) sind nicht voneinander zu unterscheiden. Bei den zweiten Methoden sind die Punktmutationen wiederum nicht unterscheidbar von spontanen oder provozierten Punktmutationen. Im Unterschied zur traditionellen Mutagenese gibt es aber viel weniger Mutationen an anderen Orten im Genom, und diese seltenen Mutationen sind wiederum nicht von den spontanen Mutationen zu unterscheiden.

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Bild 9. Genomedition mit Hilfe von CRISPR/Cas
Links: Das programmierte Enzym schneidet ein Chromosom an der ausgewählten Stelle. Das Reparatursystem der Zelle flickt diesen Chromosomenbruch, was jedes Mal zu einer anderen Sequenz («Narbe») führt. Deshalb wählt dann eine dieser Mutationen zur Weiterzüchtung aus. Allfällige Zweitmutationen am falschen Ort können dabei weggekreuzt werden. Meistens will man hier ein Gen inaktivieren, um sein Produkt auszuschalten. 
Rechts: Bei der Basenedition werden bloss eine oder wenige Basen durch eine oder wenige anderen ersetzt. Damit kann zum Beispiel ein Gen so verändert werden, dass das kodierte Protein verändert ist oder dessen Produktion verstärkt wird. Es ist auch möglich, das System zur gezielten Einsetzung eines neuen Gens zu nutzen, also zur Cis- oder Transgenese.

Rechtliche Regelung der editierten Pflanzensorten

Ob Punktmutationen oder Indels («Narben») spontan/natürlich oder künstlich, durch chemische Mutagenese, durch Bestrahlung oder durch Genomedition entstanden sind, lässt sich also nachträglich nicht unterscheiden. Deshalb haben mehrere Länder beschlossen, genomeditierte Pflanzen nicht als GVO zu regulieren, solange kein zusätzliches Gen eingeführt wurde. Solche Pflanzen dürfen in den USA und Australien bereits seit fünf Jahren ohne spezielle Registrierung auf den Markt kommen. In China und dem Vereinigten Königreich reicht eine vereinfachte Prozedur. In den meisten lateinamerikanischen Staaten, Japan, Russland, den Philippinen, Nigeria oder Kenia müssen diese Sorten behördlich registriert werden, gelten aber nicht als GVO. Kanada, Südafrika und die EU betrachten die genomeditierten Pflanzen als GVO. In Kanada werden sie aber mit einem vereinfachten Verfahren bewilligt. 

Es sind schon einige editierte Pflanzen auf dem Markt: in Japan sind es eine Tomate, die fünfmal mehr GABA enthält, was den Blutdruck senken hilft, sowie ein Speisefisch, der schneller wächst und deutlich weniger Futter braucht. In den USA gibt es Senfgrün als frischen Salat ohne Bittergeschmack, Salat, der länger haltbar ist und weniger schnell bräunt, Mais mit veränderter Stärke Zusammensetzung, was für gewisse Lebensmittel, aber auch für Textil- und Papierindustrie gut ist, Sojabohnen mit erhöhtem Ölsäuregehalt und Zitruspflanzen, die gegen den Zitruskrebs resistent sind. Die Philippinen haben auch schon eine nicht-bräunende Banane bewilligt. Es wurden bereits für 76 verschiedene Fälle von der amerikanischen USDA-Behörde die vereinfachte Prozedur bestätigt. Bei weiteren 60 neu entwickelte Pflanzen wurde eine Überprüfung durchgeführt, ob ein plausibles Umweltrisiko bestehe, was nicht der Fall war. Es werden also in Kürze zahlreiche neue Pflanzen auf den Markt kommen.

Das Europäische Parlament hat im Februar 2024 vorgeschlagen, sie einer vereinfachten Prozedur zu unterziehen. Im Juli 2024 hat das neugewählte Parlament seine Position mit ein paar Änderungen bestätigt. Die Grösse und die Anzahl der Modifikationen, die für das vereinfachte Verfahren gelten sollen, sollen reduziert werden. Patente sollen ausgeschlossen werden und es soll eine Deklarationspflicht und eine öffentliche Liste aller betroffenen Pflanzen geben.

Die enormen Kosten und langen Fristen zur Entwicklung und Testung der bisherigen transgenen Pflanzen haben ihre kommerzielle Nutzung lange auf wenige grosse Unternehmen wie Bayer, Corteva, Syngenta, BASF, Limagrain und KWS eingeschränkt. Jetzt ermöglichten die viel kleineren Kosten und Fristen der vereinfachten Verfahren mehreren kleinen Unternehmen und Universitäten, genomeditierte Sorten zur Marktreife zu bringen. Die Regulierung der Patentierung wird auch mitbestimmen, wer alles mitmachen kann.

Sicherheit

Einzelne Punktmutationen durch CRISPR/Cas entstehen auf dem Hintergrund von hundert(en) spontanen Mutationen, von denen sie nicht zu unterscheiden sind. Bei einer üblichen Mutagenese sind es gar Zehntausende ungezielte Mutationen, die die eine gesuchte Mutation begleiten. Auch kleine Insertionen und Deletionen («Narben») erscheinen spontan. Deshalb ist nicht einzusehen, warum die gezielten Geneditionen gefährlicher sein sollen als die bisher bewährten und unregulierten Mutationen.

Absolute Sicherheit gibt es nirgends, weder in der Natur noch in der Landwirtschaft oder in der Technik. In der traditionellen Züchtung kann auch mal etwas schiefgehen. So wurde 1967 die neue Kartoffelsorte Lenape auf den amerikanischen Markt eingeführt. Sie war aus einer Kreuzung mit einer insektenresistenten Wildkartoffel erzeugt, und wurde auf ideale Eigenschaften für die Chips-Herstellung selektioniert. Sie wurde aber 1970 aus dem Markt zurückgezogen, weil sie toxisch war, da sie zehnmal so viel Solanin enthielt, wie die üblichen Sorten. Solanin ist eben ein Abwehrstoff gegen Pflanzenfresser, wie Insekten oder eben Menschen, der die ganze Kartoffelpflanze giftig macht. Seither werden alle neuen Sorten genauer getestet. Für den Sortenschutz werden seit langem die Sorten von einer Behörde auf Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit geprüft. Auch die editierten Pflanzen werden auf ihre Eigenschaften getestet werden. Die transgenen Pflanzen werden noch viel strenger getestet. Das Vorsorgeprinzip wird aber von manchen als Ausrede benützt, um eben diese unerreichbare absolute Sicherheit zu verlangen. Damit wird aber zum Beispiel in Kauf genommen, dass weiterhin jedes Jahr eine halbe Million Kinder wegen Vitamin A Mangel erblindet und häufig auch daran stirbt.

Kernaussagen

Mutationen unterscheiden sich nicht wesentlich voneinander, ob sie spontan sind, durch chemische oder physikalische Mutagenese verursacht sind, oder durch Neue Gentechnologische Techniken (NGT) produziert worden sind. Warum sollen also die Letzteren vorsorglich als so gefährlich gelten, dass ihre Anwendungen so streng reguliert oder gar verboten werden sollen, wie die bisherigen Transgenen?

Die alten Biotechnologien haben sich seit dreissig Jahren auf Hunderten Millionen Hektaren bewährt. Auch die Europäische Union und die Schweiz importieren massenhaft Produkte dieser Techniken, ohne dass sie irgendwelche Probleme verursacht hätten. Deshalb haben die USA und mehrere anderen Länder ihre Regulierung für bewährte Transgene sowie für Cisgene massiv gelockert. Neben den frühen Herbizid- und Insektenresistenzen gibt es immer mehr verschiedene Eigenschaften, die für die Umwelt, die Produzenten und die Konsumenten Vorteile bringen. Wann werden die Europäer einsehen, dass ihre Vorsicht mittlerweile nicht mehr gerechtfertigt ist?


Zum Autor Jean-Marc Neuhaus

  • 1982 Dr. phil. in Biochemie, Biozentrum Basel
  • Seit 1984 Pflanzen-Zell- und Molekularbiologe
  • 1995-2018 Professor für Biochemie und Molekularbiologie, Universität Neuchâtel

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