Homöopathie und Eulen in Athen

Werner HoffmannAberglauben, Blog, GesundheitLeave a Comment

Die ordentliche Mitgliederversammlung des Forums für kritisches Denken vom 23. März 2024 verlief so, wie es ihre Bezeichnung versprach: ordentlich. Vom statutarischen Teil gibt es entsprechend wenig zu berichten, die Anträge des Vorstandes wurden angenommen, und die Wahlen ergaben ebensowenig Überraschendes. 

Schon eher ungewöhnlich war hingegen das Rahmenprogramm: Wir zeigten den Film «Homöopathie unwiderlegt?» von Erik Lemke. Musste man denn wirklich in diesem Kreis noch jemand davon überzeugen, dass es sich da um Placebomedizin (um es freundlich auszudrücken) handelt?

Nein, musste man nicht. Wollte man auch nicht. Denn es hiesse ja wirklich Eulen nach Athen tragen, vor einem solchen Publikum ausführlich zu begründen, weshalb die Grundprinzipien der Homöopathie nun einmal nicht mit dem Stand der Wissenschaft vereinbar sind.

Titelbild aus “Homöopathie unwiderlegt?” (Erik Lemke, 2022)

Das Interessante an dem gezeigten Film war ganz etwas anderes: Der Autor schlug für seine Dokumentation einen aussergewöhnlichen Weg ein. Er sprach ausschliesslich mit Befürwortern der Homöopathie – nicht etwa, um ihnen zu widersprechen, sondern um ihnen sehr aufmerksam zuzuhören. 

Dabei stellte es sich sehr bald heraus, dass es da von inneren Widersprüchen nur so wimmelte. Schon die einfache Frage, was man denn alles «potenzieren» könne, ergab Erstaunliches: für eine Gesprächspartnerin wäre es offenbar kein Problem, ihren Kühlschrank oder die Videokamera des Interviewers zu einem Homöopathikum zu potenzieren, während sich andere dazu verstiegen, sogar physikalische Phänomene wie Licht, Elektrizität oder Magnetismus als «Grundstoffe» für homöopathische Arzneimittel zu verwenden.

Ganz besonders offensichtlich wurde es dann beim Thema der Placebo-Wirkung. Hier liessen sich zwei völlig unvereinbare Argumentationsmuster erkennen: Ein Teil der Interviewpartner beharrte darauf, dass da mehr als bloss Placebo im Spiel sei, während die anderen es zumindest nicht ausschlossen, dass die Homöopathie eine besonders hoch entwickelte Form der Placebo-Anwendung sei. Diese letztere Auffassung wäre ja sogar durchaus nachvollziehbar, führt aber in der Konsequenz dazu, dass man den ganzen ideologischen Überbau mit dem Simile-Prinzip und der Potenzierung auch gleich streichen (und somit die Homöopathie eigentlich verlassen) könnte. Zu diesem Schritt fanden sich aber die Vertreter dieser Überlegung dann doch wieder nicht bereit.

Dass man aus Einzelfallberichten keine allgemein gültigen Schlussfolgerungen ziehen kann, wurde einerseits durchaus akzeptiert, andererseits aber auch vehement bekämpft. Mit geradezu bewundernswerter Offenheit verlangte eine Gesprächspartnerin mehr Publikationen solcher Einzelfälle, da diese doch die Patienten emotional stärker ansprechen würden als die anonymisierten Daten aus grossen Studien. 

Man könnte es nun abwertend als Manipulation betrachten, dass der Filmautor öfters widersprüchliche Statements zusammenschnitt. Eine solche Kritik wäre indessen nicht angemessen, da die Aussagen selbst ja keineswegs übermässig gekürzt oder verfälscht wurden. Und vor allem: nicht nur zwischen den verschiedenen Gesprächspartnern zeigten sich tiefe Widersprüche. Manchmal passten auch in einem einzigen Votum die Einzelteile nicht so richtig zusammen; so beispielsweise, als behauptet wurde, ein aus den Überresten der Berliner Mauer potenziertes Homöopathikum wirke ganz sicher, da es doch die Energien der in dieser Mauer verarbeiteten Bestandteile enthalte – nur wisse man leider nicht, in welcher Indikation. 

Noch ein paar Bemerkungen zur formalen Seite: im Gegensatz zu vielen aktuellen Produktionen strahlt dieser Film eine wohltuende Ruhe aus. Es gibt weder hektische Kamerabewegungen noch schnelle Schnitte. Der Autor tritt nur ganz am Rande in Erscheinung, eher nur als Stichwortgeber, und überhaupt nie als Besserwisser. Die Frage liegt nahe: wird das denn nicht langweilig? Ganz und gar nicht, im Gegenteil. Diese Gestaltungsweise regt aussergewöhnlich stark zum eigenen Nachdenken an – und es ist genau dieses Nachdenken, das dann auch emotional viel tiefgreifender wirkt als noch so elaborierte Action-Sequenzen.

Das wärs eigentlich – aber war da nicht noch was mit Athen und den Eulen? Ja, da war was. Da war nämlich Sokrates, der seine Gedanken nicht dadurch verbreitete, dass er sie mit missionarischem Eifer vertrat, sondern dadurch, dass er immer wieder Fragen stellte, aufmerksam zuhörte, und daraus wieder neue Fragen ableitete. Als «sokratische Methode» ist dieses Vorgehen bekannt, wird aber nur allzu selten konsequent angewendet. “Homöopathie unwiderlegt?” ist ein Paradebeispiel dafür, wie diese Methode auch nach 2400 Jahren eine überzeugende Wirkung entfaltet. Genau deshalb lohnt es sich sehr, diesen Film anzusehen – auch und gerade für Menschen, die sich als Verfechter des kritischen Denkens verstehen.

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