Investigativer Journalismus ist en vogue, auch beim Schweizer Fernsehen. Die Rundschau, so heisst die Sendung, schaut sich regelmässig nach Skandalen (oder «Skandalen») um und präsentiert diese dann mal besser, mal noch besser der besorgten Zuschauerschaft, die sich abends vor dem Bildschirm wiederfindet. Zwar will ich den Herrn Kollega Mörgeli und seine bespiellose Streitsüchtigkeit keineswegs in Schutz nehmen, doch neulich dachte ich mir, dass an dessen damaliger Replik an den Moderator, «sind Sie eigentlich vom Aff‘ bisse?», vielleicht doch ein Hauch Wahrheit dran sein könnte.1
Ich weiss, ich hatte einen Humbug für den jeweiligen Monat versprochen, doch dieser hier – der Leser (die Leserin) wird es mir verzeihen – ist nun einfach zu prickelnd um ignoriert zu werden. Für den Humbug des Novembers 2014 bedienen wir uns also der Rundschau-Sendung vom 29. Oktober2.
Virtuos investigiert und inszeniert die gebührenfinanzierte Fenrsehsendung einen altbekannten, aber allgegenwärtigen Skandal: Impfungen und die Vertuschung deren gravierender und häufiger Nebenwirkungen.
In dieser Sendung wird die Sogenannte HPV-Impfung in den Fokus genommen. Eine Impfung, die gemäss seriösen Studien zu einer wesentlichen Reduktion von Gebärmutterhalskrebs-Fällen führen soll. Doch wer stützt sich schon auf Studien, wenn es doch viel beeindruckendere Einzelfall-Reportagen gibt?
Gekonnt und mit wissenschaftsdidaktischer Bravour schildert die Rundschau den Fall einer jungen Frau um die 20 Jahre, die kurz nach ihrer HPV-Impfung unglücklicherweise an Multipler Sklerose (MS) erkrankte und ihren ersten Krankheitsschub durchmachen musste. Und dank den weisheitsgesegneten Impfskeptikern wissen wir (und insbesondere gewisse Investigativjournalisten beim SRF) heute, dass es im Leben keinen Zufall, kein Pech und keine ungünstigen Gene gibt. Nein, wenn etwas mit der Gesundheit schief geht, dann trägt in erster Linie die Impfung die Schuld daran, auch wenn diese bereits mehrere Jahre zuvor erfolgt ist. Ist ja logisch, schliesslich hat ein britischer Scharlat… ääh, Arzt, dieses Grundprinzip bereits 1998 in seiner gefälschten Studie bewiesen3 4.
Aber Studien beiseite, die werden ja eh nur von arroganten Wissenschaftlern verwendet! Schauen wir doch einmal, wie vorbildlich impfskeptisch unsere Experten vom Schweizer Fernsehen in ihrer Detektivarbeit vorgehen. Es erfüllt den Wissenschaftler mit Freude, zu sehen, wie die Rundschau kritische Themen anpackt:
- Vorbildlich ist das meiden jeglicher Diskussion von Studienresultaten, die die Impfung in gutes Licht rücken könnten. Denn wen interessiert’s schon, wenn grossangelegte Studien mit Tausenden von Probandinnen keine Korrelation zwischen HPV-Impfungen und MS gefunden haben5 6 7.
- Auch der Nutzen der HPV-Impfung wird elegant umschwiegen: Schliesslich geht es ja nur um ein paar hundert potentiell verhinderte Gebärmutterhalskrebsfälle pro Jahr (CH), ein Klacks also. Die Impfempfehlung wird gekonnt als Angstmacherei dargestellt.
- Feinfühlig wird die erste Anekdote mit einer weiteren aus Frankreich ergänzt, sodass der Zuschauer auch sicher das Gefühl erhält, dass es sich um eine Vielzahl solcher skandalöser Nebenwirkungen handelt. Dramatisch unterstreicht das Klaviergeklimper mit dissonanten Akkorden zu Beginn der Rundschau-«Recherche» den Wahrheitsgehalt des Videos.
- Auch scheinen die Redaktoren der Rundschau richtigerweise erkannt zu haben, dass sie Ihre Audienz überfordern würden, wenn sie ihnen erklären würden, worum es sich bei MS handelt und dass der erste Krankheitsschub von MS durchaus auch im HPV-Impfalter vorkommen kann8 9 10. Raffiniert!
- Es erstaunt auch die glaubwürdige Expertenwahl: Ein deutscher Arzt argumentiert geschickt nach dem Prinzip «davon habe ich noch nie gehört, deshalb glaube ich es auch nicht», und erklärt dabei, dass es keine nachgewiesene positive Wirkung der Impfung gibt. Studien muss man ja nicht lesen…11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Gekrönt wird diese Rundschau-Reportage wie immer mit einem ans Jüngste Gericht erinnernden Gespräch (in dieser Sendung wurde ein Vertreter der eidgenössischen Kommission für Impffragen vorgeladen), wo die bereits als schuldig befundene Partei vorgeladen, befragt und immer dann unterbrochen wird, wenn sie etwas Kluges, Wissenschaftliches oder zur eigenen Entlastung sagen könnte.
Schade, hat die Rundschau als gebührenfinanzierte Sendung mit grosser Reichweite die Gelegenheit verfehlt, als Vorbild zu dienen, wie man qualitativ hochstehenden Wissenschaftsjournalismus betreibt. Damit verdient sie sich die Ernennung zum Humbug des Monats 11/2014.
Quellen
- Kleine Erklärung für unsere Kollegen im grossen Kanton im Norden (D): Mörgeli, ein bekanntes Mitglied der SVP (Schweizerische Volkspartei), wurde aus beruflichen Gründen einmal in die Rundschau vorgeladen, wo man ihn dann fragte, wann er endlich zurücktrete. Die Antwort war kurz und klar: «Sind Sie eigentlich vom Affen gebissen?» [↩]
- «Gefährliche Impfung für Mädchen». Link: http://www.srf.ch/sendungen/rundschau/hpv-impfung-u-heininger-gps-sender-fuer-poestler-is-rueckkehrer [↩]
- Godlee, F., Smith, J., & Marcovitch, H. (2011). Wakefield’s article linking MMR vaccine and autism was fraudulent. BMJ, 342(jan05 1), c7452–c7452. doi:10.1136/bmj.c7452
[↩] - Deer, B. (2011). How the case against the MMR vaccine was fixed. BMJ, 342(jan05 1), c5347–c5347. doi:10.1136/bmj.c5347
[↩] - Chao, C., Klein, N. P., Velicer, C. M., Sy, L. S., Slezak, J. M., Takhar, H., … Jacobsen, S. J. (2012). Surveillance of autoimmune conditions following routine use of quadrivalent human papillomavirus vaccine. Journal of Internal Medicine, 271(2), 193–203. doi:10.1111/j.1365-2796.2011.02467.x
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[↩] - Pugliatti, M., Rosati, G., Carton, H., Riise, T., Drulovic, J., Vécsei, L., & Milanov, I. (2006). The epidemiology of multiple sclerosis in Europe. European Journal of Neurology, 13(7), 700–722. doi:10.1111/j.1468-1331.2006.01342.x [↩]
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- Sustained efficacy and immunogenicity of the human papillomavirus (HPV)-16/18 AS04-adjuvanted vaccine: analysis of a randomised placebo-controlled trial up to 6·4 years. (2009). The Lancet, 374(9706), 1975–1985. doi:10.1016/S0140-6736(09)61567-1 [↩]
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One Comment on “Investigation im Indigestionsjournalismus: Humbug des Monats 11-2014”
Ich hatte die Sendung nur Dank dieser Rubrik gesehen (danke Denis) und ich war schockiert über die Rundschau und Broz. Heininger hat korrekt argumentiert aber nicht dem Medium entsprechend. Mit der Rundschau-Methode hätte er z.B. Fragen können: „Herr Broz, Finden Sie es verantwortlich, dass Sie mit dieser Sendung tausende von Frauen verunsichern, von denen sich einige deswegen nicht impfen werden und dann Krebs bekommen und daran sogar sterben? Haben Sie eine Risikoeinschätzung ihrer Sendung durchgeführt? Finden Sie es verantwortlich, einen solchen Beitrag zu produzieren, ohne die aktuelle Literaturlage zu kennen? Finden Sie es angebracht, einen Homöopathen betreffend Impffragen zu konsultieren? Kennen Sie die spezielle, historisch gewachsene rechtliche Situation in den USA betreffend Schäden nach Impfen?“