Ein solcher Befund mag für skeptische Ohren wenig erregend klingen, aber ein Nachhaken ist angebracht – schon allein der Ausdruck, dass Akupunktur «kaum» eine Wirkung habe, verwirrt, da impliziert wird, eine Wirkung sei eben doch vorhanden. Was ist also dran an dieser neuen Studie zu Akupunktur und Heuschnupfen?
Die Studie
Die im Tages-Anzeiger thematisierte Studie trägt den Titel «Acupuncture in Patients With Seasonal Allergic Rhinitis: A Randomized Trial» (PDF). Wie im Tagi-Artikel erwähnt wird, gehört einer der Studienautoren, Benno Brinkhaus, zum Kandidierenden-Kreis für die Nachfolge des Naturheilkunde-Lehrstuhls in Zürich.
In der Studie wird untersucht, ob Akupunktur die Symptome «saisonaler allergischer Rhinitis», von Heuschnupfen, zu mildern vermag. Das Studiendesign ist auf Seite 226 beschrieben:
Weiter ist aus der Grafik ersichtlich, dass es drei randomisierte Gruppen gab: Eine, welche mit Akupunktur behandelt wurde; eine, welche mit «sham acupuncture» behandelt wurde (einer Art «Placebo»-Akupunktur; dazu unten mehr): und eine, welche zunächst weder mit Akupunktur noch mit «Placebo»-Akupunktur behandelt wurde, nach 8 Wochen aber Akupunktur erfuhr. Eine Gruppe, welche keine Form der Akupunktur erhalten hätte, ist also nicht vorhanden.
Das Verhältnis der Anzahl Probanden war für diese drei Gruppen 2:1:1; die Autorinnen und Autoren begründen dies mit besserer Rekrutierung und steterer Teilnahme, weil alle Probanden davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit am höchsten sein würde, dass sie in der Akupunktur-Gruppe landen. Auf Probandenseite fand eine Verblindung insofern statt, als die Gruppen bei Akupunktur und «Placebo»-Akupunktur nicht wussten, in welcher Gruppe sie sind; die dritte Gruppe wusste dies logischerweise.
Die Wirkung der Intervention wird anhand von vier Indikatoren gemessen:
- RQLQ (Rhinitis Quality of Life Questionnaire)
- RMS (rescue medication score)
- VAS (visual analog scale)
- SF-36 (Short Form-36 Health Survey)
Alle vier Indikatoren sind Angaben, welche die Probanden selber gemacht haben. Das bedeutet nicht, dass die Daten grundsätzlich unbrauchbar oder nicht aussagekräftig sind, aber es ist offensichtlich, dass diese Art von Studie nicht direkt misst, ob eine Intervention wirkt, sondern, inwiefern die Probanden empfinden, dass sie wirkt (dazu mehr im nächsten Abschnitt).
Die Ergebnisse sind in Tabelle 2 auf Seite 232 zusammengefasst:
In summary, we found that acupuncture led to statistically significant improvements in disease-specific quality of life and antihistamine use after 8 weeks of treatment compared with sham acupuncture and with RM alone, but the clinical significance of the findings remains uncertain. The effectiveness of acupuncture for SAR compared with other antiallergic interventions and the possible underlying mechanisms of any effect, including context effects, need to be addressed in further research. Because the effects of acupuncture compared with RM in this study might have been affected by patient beliefs about acupuncture (41), the effect of patient expectation should also be further investigated.
Die Autorinnen und Autoren interpretieren die Ergebnisse also durchaus vorsichtig und erklären, es sei unsicher, ob aus dieser Studie ein klinischer Nutzen der Akupunktur herausgelesen werden kann. So bescheiden und selbstkritisch diese Schlussfolgerung klingen mag, ist sie dennoch unvollständig.
Die Tücken der Placebo-Akupunktur
Akupunktur ist eine «komplementärmedizinische» Methode, die sich in mancherlei Hinsicht von gägngigen Vorstellungen über Heilmittel und Medizin unterscheidet. Der vielleicht grösste Unterschied dürfte sein, dass wir in der Regel mit Heilmitteln bestimmte Stoffe assoziieren, welche wir in den Körper einführen, damit sie dort ihr Werk verrichten. Diese Metapher verinnerlichen wir, würde ich meinen, bereits in früher Kindheit durch alltägliche Erfahrungen, etwa beim kindlichen Kampf gegen Gemüse und sonstige «gesunde» Nahrung. Aber auch in engerem Sinne medizinische Eingriffe, von der Einnahme von Hustensirup bis hin zu Impfungen, lassen uns intuitiv annehmen, wie Medikamente funktionieren. Akupunktur aber verletzt diese Metapher, und zwar wörtlich: Anstatt bestimtme Stoffe, welche uns heilen sollen, in den Körper zu führen, wird bei Akupunktur stattdessen unser Körper verletzt – und wie!
Eine Person mit vielen langen Metallnadeln perforieren, ist für unser Alltagsempfinden zuerst ein Akt der Folter, und nicht der Heilung. Hierin liegt, so meine ich, denn auch einer der Gründe für die grosse Faszination an Akupunktur im Westen: Der Widerspruch zwischen der Art der Intervention bei Akupunktur und bei «normalen» Heilverfahren irritiert uns zutiefst, und macht uns ebenso neugierig. Wer sich einer Akupunkturbehandlung unterzieht, befindet sich also in einer höchst aussergewöhnlichen Situation, die in ihrer Widersprüchlichkeit für Nervenkitzel sorgt: Bei Bewusstsein mit Nadeln bestochen zu werden, bedeutet eine recht eigentlich risikoreiche, nicht-alltägliche Situation, die so schnell nicht vergessen wird. Wie Tobi in Folge 3 des Podcasts berichtete, schlägt bei solch einer Behandlung das Herz definitiv höher als sonst.
Akupunktur-Behandlungen sind also Interventionen, welche uns auf individueller, subjektiver Ebene grossen Eindruck machen. Im Zusammenhang mit der hier thematisierten Studie dürfte klar sein, was das bedeutet: Schon allein dieser gewaltige, einprägsame Eindruck der Akupunktur kann erklären, warum Probanden nach Akupunkturbehandlungen bestimmte subjektiv einzustuftende Symptome als weniger stark wahrnehmen. Das würde also bedeuten, dass die Probanden, die der Akupunktur zudem wohlwollend gesinnt sind (alle Probanden der Studie wollten explizit mit Akupunktur behandelt werden), eine subjektive Besserung schon dadurch empfinden, dass sie eine aussergewöhnliche Therapie durchmachen und durch diese Form des Eingriffes und den allfälligen bewussten Glauben an dessen Wirkung (welche, wie oben beschrieben, auf viszeraler, intuitiver Ebene widersprüclich scheint und umso mehr umtreibt) die Symptome als weniger gravierend wahrnehmen, oder vereinzeltes Auftreten von Symptomen wie etwa Niesen kognitiv nicht als Symptome, sondern als isolierte Ereignisse einordnen.
Nun, dies mag alles schön und gut sein, aber in der Studie wurden ja gerade Akupunktur und «Placebo»-Akupunktur verglichen, und es zeigte sich, dass das Placebo einen weniger starken Effekte hatte, oder? Nein: In dieser Studie ist die «Placebo»-Akupunktur eine in mehreren Aspekten deutlich andere Intervention als Akupunktur, und zwar in einem Masse, welches auch auf subjektiver Ebene der einzelnen Probanden für unterschiedliche Wahrnehnung der Behandlung und entsprechend unterschiedlich stark ausgeprägtem Placebo-Effekt sorgen kann.
Akupunktur hat sich in dieser Studie in zweifacher Hinsicht von der vermeintlichen «Placebo»-Akupunktur unterschieden:
- Die «Placebo»-Nadeln wurden weniger tief gesetzt.
- Die Zuwendung der Ärztinnen und Ärzte war bei regulärer Akupunktur intensiver als bei «Placebo»-Akupunktur.
Diese Unterschiede werden in der Studie ausgewiesen, bei den Ergebnissen aber nicht genügend reflektiert. Dass bei der Akupunktur-Gruppe das spezifische Gefühl des «de qi» hervorgerufen werden sollte, bedeutet, dass die Behandlungen intensiver waren und das subjektive Empfinden der Probanden entsprechend auch. Diese Unterschiede zwischen Akupunktur und «Placebo»-Akupunktur sind für die Akupunktur-Forschung typisch, und die Ergebnisse werden allzu oft falsch interpretiert, wie z.B. auf «Science-Based Medicine» kritisiert wird.
Wird die hier interessierende Studie also den unterschiedlichen Arten der Interventionen interpretiert, ist der Placebo-Effekt bei intensiverer Akupunktur grösser – ein interessantes, aber eben nicht erstaunliches Beispiel. Dass bei Heuschnupfen unspezifische Effekte zu insgesamt besserer Lebensqualität führen können, wird z.B. in der Übersichtsstudie «Keys to successful management of patients with allergic rhinitis: Focus on patient confidence, compliance, and satisfaction» festgehalten. In dieser Lesart sind auch die Ergebnisse der Akupunktur-Studie einzuordnen, meine ich.
Fazit: Es geht auch anders
Die Studie zu Akupunktur bei Heuschnupfen liefert nach meinem Dafürhalten interessante Ergebnisse: Mit der «Intensität» der Nadelung steigt auch die Stärke des Placebo-Effektes. Es ist schade, dass die Autorinnen und Autoren der Studie diese Interpretation nicht machen, oder sie nur andeuten. Einer der Autoren, Benno Brinkhaus, wird im Artikel des Tages-Anzeiger zudem folgendermassen zitiert:
Aus eigener Erfahrung als Therapeut ist Brinkhaus überzeugt, dass positive Effekte der Akupunktur vor allem nach zwei bis drei Jahren wirklich zum Tragen kommen. Angesichts der bestenfalls beschränkten Wirksamkeit sieht er die Akupunkturbehandlung bei Heuschnupfen in erster Linie als Ergänzung und nicht als Alternative zur herkömmlichen schulmedizinischen Therapie.
Hier scheint eine ganz bestimmte Haltung beschrieben: Aufgrund subjektiver Erfahrungen ist Brinkhaus von der Wirksamkeit der Akupunktur überzeugt, und Studienergebnisse werden darum tendentiell derart interpretiert, dass sie dieser subjektiven Überzeugung eher gerecht werden, oder sie zumindest nicht in Frage stellen.
Doch nicht alle Forschung über Akupunktur muss solchen Motivationsstrukturen entspringen. Als positives Beispiel sei die Studie «Acupuncture and bronchial asthma: a long-term randomized study of the effects of real versus sham acupuncture compared to controls in patients with bronchial asthma.» (PDF) erwähnt, an welcher auch Brunello Wüthrich, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates von Skeptiker Schweiz, beteiligt war. In dieser Studie wurde untersucht, ob Akupunktur und «Placebo»-Akupunktur einen Einfluss auf die Symptome von Asthma haben.
Zum einen hat diese Studie mit weniger vom Subjektiven betroffenen Indikatoren gearbeitet, womit allfällige Zusammenhänge zwischen den Mikroverletzung des Nadelns und daraus resultierenden neuro-chemischen Vorgängen besser greifbar gemacht werden. Andererseits werden die Ergebnisse in dieser Studie viel deutlicher auf ihre tatsächliche Aussagekraft hinterfragt, auch im Hinblick auf das methodische Vorgehen (S. 748):
In addition, it has to be remembered that sham or placebo acupuncture cannot be administered in the same fashion as placebo medication (de la Torre, 1993; Jobst, 1995). The therapist knows whether he/she is performing real or sham or placebo acupuncture. Because suggestion has been shown to be capable of producing bronchodilation in patients with asthma (Philipp et al., 1972), this has to be considered, when evaluating possible, in this case short-term, effects of acupuncture.
Forschung zu Akupunktur kann, wie dieses Beispiel zeigt, durchaus rationale Früchte tragen, so ein genügendes Mass an kritischer Interpretationsleistung erbracht wird. Für die Heuschnupfen-Studie würde sich dies in der Bereitschaft der Autorinnen und Autoren äussern, angesichts der Studienanordnung und -durchführung sowie der Muster der Ergebnisse den Schluss nahe zu legen, in diesem Fall wirke Akupunktur als Placebo.
Nachtrag, 02.06.2013
Oben beschreibe ich, dass sich die «Placebo»-Akupunktur in zweifacher Hinsicht deutlich von der normalen Akupunktur-Behandlung unterscheidet. Wahrscheinlich kommt noch ein dritter, ebenfalls gewichtiger Unterschied hinzu: Die Anzahl der Nadeln, welche bei den Behandlungen gesetzt wurden.
In der Studie erwähnen die Autoren auf Seite 227, wie viele Nadeln bei «Placebo»-Akupunktur gesetzt wurden:
Patients randomly assigned to sham acupuncture were needled in at least 5 of 7 predefined nonacupuncture points bilaterally, with only superficial insertion of needles (maximum 20 mm in length).
Dieser Satz kann zwei Bedeutungen haben: Die maximale Anzahl der pro Sitzung gesetzten Nadeln ist 7, die minimale 5. Es ist aber auch denkbar, dass das Setzen von mindestens 5 von 7 «Placebo»-Nadeln notwendige Bedingung war, darüber hinaus aber weitere Nadeln gesetzt wurden. Die zweite Variante ist unwahrscheinlich, weil so keine Konsistenz der «Placebo»-Akupunktur mehr gegeben wäre, also nicht mehr sicher wäre, dass die Patienten nicht doch in den «richtigen» Akupunktur-Punkten genadelt würden.
Dafür, dass die Autorinnen und Autoren die «Placebo»-Akupunktur auf diese 5 bis 7 Punkte beschränken wollten, spricht auch ihre Beschreibung der spezifischen Punkte bei regulärer Akupunktur. Diese Beschreibung ist nicht in der Studie vorhanden, sondern nur online einsehbar:
Bei der regulären Akupunktur wurden also zwischen 10 und 15 Nadeln gesetzt, bei «Placebo»-Akupunktur zwischen 5 und 7. Dies ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass diese Studie im Grunde zum Schluss kommt, dass die Intensität der Akupunktur-Behandlung mit der Intensität des Placebo-Effektes zusammenhängt.
4 Comments on “Mit Akupunktur gegen Heuschnupfen?”
Es gibt einen weiteren schwierigen Punkt bei solchen Studien: Ausgebildete Akupunkteure wissen jederzeit, ob sie Akupunktur oder Placebo-Akupunktur anwenden. Das macht eine Doppelverblindung schwierig und beeinflusst wohl nicht wenig das Ergebnis. Ausschalten könnte man diese Verzehrung wohl nur, wenn Schauspieler eingesetzt würden, die keine Kenntnisse davon haben, ob sie gerade Akupunktur oder Placebo-Akupunktur anwenden.
Wurde dieser Punkt bei der Studie berücksichtigt oder thematisiert?
Ciao Martin
Es handelt sich ausschliesslich um in Akupunktur weitergebildete MedizinerInnen:
„Acupuncture was administered in outpatient clinics by conventionally trained physicians (67% with postgraduate specialization, such as internal or family medicine) with additional extensive acupuncture training (median, 500 hours [interquartile range, 350 to 1000 hours]) and experience (mean, 14 years in practice) who were also trained in sham acupuncture and were instructed to deliver both in the same context and with the same behaviors.“
Die Verblindung fand effektiv nur auf Seite der Probanden statt.
Zudem kann die Erklärung „[…]were instructed to deliver both in the same context and with the same behaviors“ nicht wirklich Sinn machen- bei der konventionellen Akupunktur sollten die Ärztinnen und Ärzte ja gerade anders vorgehen (also intensiver nadeln), um das „de qi“ zu erreichen.
Gruss
Marko
Hallo,
sehr guter Artikel und gute Auswirkung. Bisher habe ich mich vor den Nadeln gefürchtet, aber mein Heuschnupfen ist so unerträglich geworden, dass ich jetzt wirklich mit dem Gedanken der Akupunktur spiele. Eine Option ist es für mich, meinen Hausarzt in Thal in der Schweiz aufzusuchen, da er auch die tcM anbietet inkl. Akupunktur. Nur weiss ich nicht, ob ich nicht doch lieber zu einem Alternativmediziner gehen sollte. Was ist eure Meinung dazu?
Hallo Katharina
Im Sinne des obigen Textes wäre Akupunktur in erster Linie Placebo: Es tritt eine Art kurzfristiger positiver Effekt auf, aber der Effekt ist vielleicht eher die eigene Erwartungshaltung, weniger ein konkreter Wirkmechanismus. Mein Ratschlag wäre darum, doch weiterhin auf fundiert evidenzbasierte Behandlungsformen zu setzen.
Wenn du aber schon beschlossen haben solltest, Akupunktur zu verwenden, dann würde ich meinen, dass eine medizinische Fachperson die bessere Adresse als ein „Alternativmediziner“ ist: Letztere versprechen oftmals sehr viele Dinge, die sie nicht halten können – und raten bisweilen auch von evidenzbasierter Medizin ab.
Grüsse