Mein skeptischer Alltag – Folge 2
Als Argument gegen die Unbedenklichkeit der Alternativmedizin werden gerne Anekdoten von Krebskranken herangezogen, die statt auf nachweislich wirksame Therapien auf homöopathische Arzneimittel zurückgreifen – mit dramatischen Folgen. Selber schuld, denke ich mir dann, lernt man nicht schon als Kind, nicht jedem Scharlatan seinem Glauben zu schenken? So galt meine Skeptiker-Mitgliedschaft lange ausschliesslich meiner Liebe zur Rationalität und Wahrheitsfindung.
Vor einem Jahr wurde bei mir selbst ein Krebs festgestellt, leider von der unschönen Sorte. Ich führe einen gesunden Lebensstil und gehöre zu keiner Risikogruppe. Nach aktuellem Stand der Medizin war die Ursache meines Tumors vor allem Pech. Nebst der vielen Emotionen, die mich anfangs nach der Diagnose begleiteten, war für mich klar, dass ich mein Schicksal in die Hände der Ärzteschaft legen würde. Und sollte das nicht reichen, wollte ich schauen, dass ich meinen Frieden fand.
Womit ich nicht gerechnet hatte: Nachdem ich offen über meine Krankheit sprach, wurde ich auf einmal zum Freiwild für alle Arten von Esoterikern – keine fremden Leute, sondern Menschen, mit denen ich tagein tagaus zu tun gehabt hatte, und die ich bis anhin als vernunftgetrieben und strikt rational handelnd erlebt hatte.
Darauf war ich nicht vorbereitet. Auf den gut gemeinten Ratschlag, es in schlechten Zeiten mit TCM zu probieren, bedankte ich mich höflich. Eine SMS mit einem Link zum Bestseller „die vier-Blutgruppen-Diät“ („mit Extra-Kapitel zum Thema Krebs“) liess ich unbeantwortet. Beim zweiten Buchtipp („Heilung im Licht“) versuchte ich zu erklären, dass ich mich mit der zur Verfügung stehenden evidenzbasierten Medizin vollauf versorgt fühlte.
Es war eine unerwartet grosse Anzahl von Bekannten, die mir plötzlich ihren Glauben offenlegten und den Drang verspürten, ihre Überzeugungen auf mich anzuwenden.
Ein Krebsüberlebender empfahl mir aus eigener Erfahrung, möglichst wenig von meiner Erkrankung zu erzählen: Der Mythos der „Krebspersönlichkeiten“ würde noch in vielen Köpfen stecken. Dass dem Patienten indirekt eine Schuld an der eigenen Krankheit zugeschoben wird, könne sehr belastend sein. Bei meinem Einwand, dass ich mich nicht verstecken wolle und ausserdem gerne einen Beitrag zur Aufklärung leiste, schaute er etwas skeptisch drein.
Tatsächlich versuchte mich eine Freundin davon zu überzeugen, dass jede körperliche Krankheit eine seelische Belastung berge. Um sie zu bewältigen, müsse man demnach zuerst die tiefgreifende Botschaft dahinter verstehen. Als Beweis dafür führte sie mir eine Reihe von Frauen im Alter unserer Eltern vor, früher allemal gefangen in der Mutter- und Frauenrolle, jetzt, nach langem Ringen gegen den Krebs, auf einmal wie befreit. Dank ihrer Lebensumstellung vermochten sie, so ihre Theorie, den Tumor in Schach zu halten. Ich wies auf die fehlende wissenschaftliche Grundlage ihrer These hin, und dass ihre Beispiele stellvertretend für das emanzipatorische Verhalten einer ganzen Frauengeneration stehen würden – worauf sie, anstatt sich umstimmen zu lassen, mit neuen Behauptungen konterte. Kurz: Ich steckte mitten im Meinungskampf.
Ein paar Tage später besuchte mich überraschenderweise eine ehemalige Arbeitskollegin. Ich zeigte ihr meinen Garten, als sie auf Jesus zu sprechen kam, auf ihre Offenbarung und ihren Glauben – sie war in ihrem Redefluss nicht mehr zu stoppen. Mein Zwischenruf, dass ich als agnostische Atheistin von diesen Sachen wenig hielt, half nicht. Ich war froh wieder alleine zu sein. Auf dem Nachhauseweg schickte sie mir die Einladung zu einer Heilungszeremonie ihrer Freikirche. „Es wird dich verändern“, fügte sie hinzu. Ich sperrte ihre Nummer.
In der Abklärungsphase meiner Krankheit, als lange nicht sicher war, ob ich in eine kurative Behandlung aufgenommen werden konnte, hat mir die grosse Anteilnahme meiner Freunde und Familie gutgetan. Die ungefragten Ratschläge von Bekannten hingegen waren mir zu aufdringlich. Ich respektiere den Glauben der anderen – oder zumindest lasse ich sie damit in Ruhe. Im Gegenzug erwarte ich, dass mir meine eigenen Überzeugungen ebenfalls zugestanden werden. Nur weil ich an Krebs erkrankt war, hiess das noch lange nicht, dass ich alles, was ich bisher gemacht und geglaubt hatte, auf den Kopf stellen musste. Ich war zufrieden mit mir selbst, mit meinem Lebensweg, trotz der Hindernisse, die mir hin und wieder begegnet waren. Ich sah keinen Grund, mich zu verändern.
Nur war ich in dieser Zeit sehr dünnhäutig.
Zum Glück hatte ich nach den Therapien eine Komplettremission – das Thema Krebs ist mittlerweile in meinem Alltag in den Hintergrund gerückt.
Inzwischen denke ich aber, dass ich gerne lernen würde, deutlicher Farbe zu bekennen, Bekehrungsversuche schneller abzuschütteln und vor allem, für solche Fälle, ein paar lustige Sprüche auf Lager zu haben. Denn bei so viel Nonsense wäre ein ehrliches Lachen hilfreicher als ein Berg von Argumenten.
Redaktionelle Bemerkung: Um die Identität der hier erwähnten Personen zu schützen, hat die Autorin entschieden, ihren Beitrag unter dem Pseudonym „Ida B“ zu veröffentlichen.
2 Comments on “Nützt’s nüt so schadet’s nüt – wirklich?”
Erst mal Glückwunsch für den Erfolg und möge er dauern.
Die Reaktionen die Du beschreibst zeigen vorallem wie verloren viele Menschen durchs Leben stolpern. Sie klammern sich unsicher an Erklährungsversuche. Wenn sich dann die Gelegenheit bietet einem vermeintlich Hilflosen helfen zu dürfen, machen sie das vorallem um sich selbst zu bestätigen, ohne jede Rücksicht. Natürlich hat man da selbst nicht noch Reserven um sich mit allen Nonsenserklährungsversuchen einer manchmal unfreundlichen Welt auseinanderzusetzen. Vorallem nicht, weil es selten zu was führt. Zu verworren sind manche Geister. Schön wenn du dann andere Menschen hast die zu Empathie ohne Sendungsbedürfnis fähig sind.
Danke für den Beitrag! – Vielleicht reicht es, aufdringlichen Personen diesen Text zu schicken. Einige können dann vielleicht nachvollziehen, was dir besser hilft.