Vieles spricht dafür, am Medienhype rund um die kürzlich stattgefundene Papstwahl nicht teilzunehmen. Wenn eine Organisation behauptet, ihr Oberhaupt werde dadurch, dass es das Amt des Oberhauptes ausübt, zur Stellvertretung einer angeblichen Gottheit, wird eine Reihe von aufeinander aufbauenden Hypothesen vorgelegt, für welche nach wie vor rationale Begründungen fehlen – für die Existenz einer oder mehrerer Gottheiten liegen keine plausiblen Argumente vor; für die Existenz einer Gottheit gemäss christlich-katholischer Überlieferung liegen keine plausiblen Argumente vor; für den angeblichen privilegierten Zugang der katholischen Obrigkeit zu der katholisch-christlichen Gottheit bzw. für die durch die katholisch-christliche Gottheit legitimierte Hierarchie der katholischen Kirche liegen keine plausiblen Argumente vor.
Die Papstwahl ist demnach pure Glaubensangelegenheit, und somit aus skeptischer Sicht recht eigentlich uninteressant, da banal.
Das bedeutet aber nicht, dass die katholische Kirche und ihr Oberhaupt grundsätzlich irrelevant seien: Der Papst als Figur der Unfehlbarkeit in Glaubensfragen spielt für Anhängerinnen und Anhänger des Katholizismus eine grosse Rolle, und der Papst wie auch das Personal der katholischen Kirche verfügen über viel weltliche, soziale Macht. So hat denn auch die investigative Aufarbeitung der Biografie Jorge Mario Bergoglios, wie der Papst Franziskus mit bürgerlichem Namen heisst, schnell begonnen. Beispielsweise hat der Tages-Anzeiger die Frage aufgeworfen, ob und inwiefern Bergoglio mit der argentinischen Militärjunta der 1970er Jahre kollaborierte.
Ein anderer Teil Bergoglios Vergangenheit holt ihn nun dank Social Media ein: Wie ein Lauffeuer verbreitet sich im Internet gegenwärtig ein Zitat Bergoglios, welches eine grotesk rückständige Einstellung gegenüber Frauen offenbart. Festgehalten ist das Zitat z.B. auf folgendem Bild:
Zu Deutsch in etwa:
Frauen sind von Natur aus unfähig, politische Ämter zu bekleiden.
Die natürliche Ordnung und die Tatsachen lehren uns, dass der Mann das politische Wesen par excellence ist: Die heillige Schrift zeigt uns, dass die Frau immer die Unterstützung des denkenden und machenden Mannes ist, aber nichts mehr als das.
Diese Aussage mag in ihrer Direktheit irritieren, aber so richtig überraschend ist sie nicht. Die katholische Kirche schliesst Frauen bekanntlich von allen wichtigeren Funktionen aus, und ist im Wesentlichen auch gegen die Selbstbestimmung der weiblichen Sexualität und Reproduktion. Bergoglio widerspricht im Zitat also nicht wirklich der gegenwärtigen katholischen Doktrin zur Rolle der Frau (so zumindest meine Einschätzung, der ich Ex-Katholik bin).
Dennoch ist es von Interesse, von wo das Zitat stammt. Beispielsweise ist denkbar, dass die Aussagen aus dem Kontext gerissen sind, und Bergoglio in Tat und Wahrheit gegen eine solche fundamentalistische Position ist, und selber nur die Extremisten zitierte, welche er kritisiert.
Wie das Emblem unten links andeutet, stammt das Bild von der «Unión Mexicana Atea», wo die genaue Quelle der Aussagen Bergoglios aber nicht zu finden ist. Eine Google-Suche nach dem Zitat selber legt den Schluss nahe, dass das Zitat einer Meldung der Nachrichtenagentur «Télam» aus dem Jahre 2007 entnommen ist:
Buenos Aires, 4 de junio (Télam) – El arzobispo de Buenos Aires, cardenal Jorge Bergoglio, afirmó que „las mujeres son naturalmente ineptas para ejercer cargos políticos“, refiriéndose a la candidatura presidencial de la Senadora Cristina Fernández de Kirchner. „El orden natural y los hechos nos enseñan que el hombre es el ser político por excelencia; las Escrituras nos demuestran que la mujer siempre es el apoyo del hombre pensador y hacedor, pero nada más que eso“.
Kurios an dieser Meldung ist, dass sie offenbar nur in der Sphäre der Social Media kursiert (z.B. hier, hier, hier, hier), aber keine Zeitung oder Nachrichtenseite auffindbar ist, welche die Meldung veröffentlicht hätte. Warum dem so sein könnte, beschreibt der US-amerikanische Fernsehsender «Univision»:
“En los dos últimos días se ha difundido en las redes sociales diversas leyendas negras sobre el papa Francisco. Una de ellas lo acusa de haber dicho, en el año 2007, que ‘las mujeres son naturalmente ineptas para ejercer cargos políticos’, una frase que nunca pronunció y fue inventada por un usuario anónimo del sitio web Yahoo Respuestas”, indicó Aciprensa, que repudió “la avalancha de injustas críticas que recibió el Papa por declaraciones que nunca dijo”.
Es handle sich bei dieser Meldung um einen urbanen Mythos, der seinen Ursprung bei «Yahoo Answers» habe. Falls mich meine kurze Google-Recherche diesbezüglich an den richtigen Ort getragen hat, müsste es sich um diesen Beitrag von 2007 handeln:
Eine frühere Quelle als diese konnte ich nicht ausfindig machen. Es scheint daher plausibel, dass das Zitat Bergoglios tatsächlich bloss ein Internet-Hoax ist.
Fazit: Achtung Confirmation Bias
Es ist nur allzu menschlich, dass wir gegenüber Informationen, welche unser präferiertes Weltbild stützen, unkritischer sind als gegenüber Informationen, welche in Widerspruch zu unserem bevorzugten Weltbild stehen. Davon sind Skeptikerinnen und Skeptiker genau so betroffen wie Menschen, welche der kritischen Denktradition weniger zugeneigt sind.
Die erste Einsicht des rationalen Skeptizismus ist aber, dass wir bereit sein müssen, solche Quellen der Selbsttäuschung zu erkennen und unser Handeln entsprechend anzupassen, unseren Eifer durch das kritische Hinterfragen unserer Selbst zu zügeln. Ansonsten spielen wir womöglich gerade jenen Kräften des Irrationalen in die Hände, deren süssen Sirenengesang wir eigentlich abschwächen wollen.