Auf dem Weg zum Detailhändler meines Vertrauens in Zürich-Schwamendingen ist mir ein Plakat ins Auge gesprungen:
Weil ich die Frage nicht ganz verstanden habe (Die Entstehung des Lebens ist ja eigentlich nicht etwas, was die Evolutionstheorie erklärt), habe ich am Stand hinter dem Plakat nachgefragt. Es handelte sich um einen Infostand der Zeugen Jehovas, und die Standbetreuerin sowie ihr Kollege haben mir in einem freundlichen Gespräch Auskunft gegeben.
Leider haben wir nicht alles direkt vor Ort klären können («Evolution beschreibt ja nicht den Ursprung des Lebens?» – «Die Urknall-Theorie steht aber im Widerspruch zur Schöpfung.»; «Evolution hat ja mit dem Urknall nichts zu tun» – «Wir wissen heute, dass die Bibel wissenschaftliche Dinge beschreibt, aber sie beschreibt den Urknall nicht.»; «Man kann doch gläubig sein und trotzdem die Wissenschaftlichkeit der Evolutionstheorie anerkennen.» – «Die Bibel beschreibt nicht, dass sich Leben entwickelt, sondern, dass alles so, wie es ist, geschaffen wurde.»), aber netterweise wurde mir ein Buch zur weiterführenden Lektüre mitgegeben:
Auf der Rückseite wird die «einleuchtende Logik» «namhafter Wissenschaftler» angepriesen:
Das Buch ist nicht ganz neuen Datums (es stammt von 1985), aber der Enthusiasmus der Standbetreuer dürfte bedeuten, dass der Inhalt zeitlos ist:
Die kreationistischen Kernargumente
Was genau ist in dem Buch «Das Leben» zu lesen? Im Wesentlichen handelt es sich um eine Zusammenfassung der wichtigsten kreationistischen Argumente gegen die Evolutionstheorie. D.h., es wird argumentiert, dass die Evolutionstheorie falsch ist und, dass die Vielfalt an beobachtbaren Lebensformen das Ergebnis von Schöpfung sein muss. Das Buch vermeidet Begriffe wie «Kreationismus» oder «Intelligent Design» («Intelligent Design» ist ein Synonym für Kreationismus, nur, dass dabei versucht wird, den Anschein zu erwecken, es handle sich nicht um Kreationismus).
Im Buch wird umfassend beschrieben, warum Evolutionstheorie nicht stimmen soll. Die knapp 250 Seiten lassen sich auf eine handvoll Argumente eindampfen, und dabei zeigt sich, dass diese kreationistischen Kernargumente auf nicht sehr soliden Beinen stehen:
Argument | Inhalt des Argumentes | Problem |
---|---|---|
Woher kommt Leben? | Evolution erklärt den Ursprung des Lebens nicht. | Evolution beschreibt die Entwicklung von Leben, nicht dessen Ursprung. |
Komplexität entsteht nicht durch Zufall. | Komplexe Systeme, z.B. der menschliche Körper, können praktisch nicht durch Zufall entstehen. Wenn wir alle Einzelteile eines komplexen Systems zusammenstellen, entsteht dadurch noch kein System. Komplexität ist nicht reduzierbar. | Der Begriff «Zufall» wird missverstanden. Mutation und Selektion sind nicht zufällig, sondern lediglich nicht a priori determiniert. Komplexe Systeme entwickeln sich aus anderen Systemen und entstehen gerade nicht spontan und «zufällig». |
Evolution ist nur eine Theorie. | Evolution ist nicht Fakt, sondern nur eine Idee, wie etwas sein könnte. | Jede wissenschaftliche Theorie ist eine Idee, bzw. ein komplexes Ideengefüge. Selbstverständlich darf daran gezweifelt werden, und selbstverständlich dürfen andere Theorien vorgetragen werden. Die Güte einer Theorie bemisst sich aber an der Güte der vorhandenen Argumente und empirischen Ergebnisse. Eine Theorie wird nicht dadurch widerlegt, dass man «Es ist nur eine Theorie» sagt. |
Es fehlen die «Missing Links». | Es gibt nur Beispiele für einzelne Lebewesen, aber keine Beispiele für die Übergangsformen zwischen ihnen. | Evolutionstheoretisch gesehen sind alle Lebewesen immer nur Übergangsformen. Begriffe wie «Missing Link» stammen aus vor-evolutionären (oder anti-evolutionären) Naturverständnissen. |
Die Bibel ist wissenschaftlich. | In der Bibel werden Dinge erwähnt oder beschrieben, welche sich später als wissenschaftlich korrekt erwiesen haben. | Nur, weil bestimmte Dinge, welche in der Bibel erwähnt werden (z.B., dass die Erde rund ist), aus moderner wissenschaftlicher Sicht korrekt sind, bedeutet nicht, dass die Bibel diese Dinge wissenschaftlich beschreibt bzw. diese Erkenntnisse über den Weg der wissenschaftlichen Methode gewonnen wurden. Darüber hinaus ist es ein logischer Fehlschluss, anzunehmen, dass *alle* Behauptungen der Bibel wissenschaftlich korrekt sind, nur, weil einige der Behauptungen in der Bibel wissenschaftlich korrekt sind. |
(Evolutions-)Biologie ist fehlbar. | Bestimmte Befunde der (evolutions-)biologischen Forschung wurden durch neuere Erkenntnisse ersetzt. | Wissenschaft ist ergebnisoffen und Wissen immer vorläufig: Wenn bestimmte Befunde mit weiterer Forschung ergänzt oder widerlegt werden, wird eben Wissenschaft betrieben. Wenn einzelne Befunde im Rahmen (evolutions-)biologischer Forschung durch andere Befunde im Rahmen (evolutions-)biologischer Forschung ergänzt oder widerlegt werden, bedeutet das nicht, dass Evolution falsch ist. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn Forschung im Rahmen eines theoretischen Paradigmas inkrementell bessere (d.h. genauere und replizierbare) Ergebnisse liefert, spricht das *für* die Theorie. |
Diese nicht sehr überzeugenden Argumente werden im Buch immer wieder mit Analogien untermautert. Diese Analogien sind dabei bildlich-emotionaler Natur und logisch fehlschlüssig. Zum Thema Komplexität wird etwa argumentiert, dass ein modernes Haus so komplex ist, dass es klar ist, dass es bewusst gebaut wurde:
Aus diesem Beispiel zu schliessen, dass das Universum allgemein auch von jemandem gebaut worden sein muss, macht keinen Sinn – es wird einfach die Prämisse postuliert, dass alles, was existiert, das Ergebnis bewusster Schöpfung ist. Warum aber diese gewichtige Prämisse inhaltlich wahr sein soll, wird nicht erklärt.
Viele der Analogien sind schlicht grotesk, etwa zum Thema Mutation:
Genetische Mutation damit zu vergleichen, ein elektronisches Gerät willentlich zu zerstören, ist nicht Mal eine annähernd passende Analogie. Rhetorisch kann das aber ein gutes Mittel sein, weil ein kompliziertes Thema wie Mutation auf ein für uns alle verständliches Bild reduziert und dabei lächerlich gemacht wird. Diese platten und inhaltlich falschen Vereinfachungen sind im Wesentlichen ein Appell an den «gesunden Menschenverstand», und darum auch auf den ersten Blick verlockend.
Fazit: Tatsachen werden zu «Tatsachen»
Die Evolutionstheorie gehört zu den erfolgreichsten wissenschaftlichen Theorien, und doch nagen anti-evolutionäre Gruppen und Bewegungen auch in der Schweiz an ihrer Akzeptanz. Man mag schmunzelnd einwenden, dass ein einzelner Stand in Zürich-Schwamendingen nicht viel bewirkt – aber es gibt viele einzelne Stände an ganz unterschiedlichen Orten. Im Gegenzug gibt es eigentlich nie Stände, an denen die Wissenschaft von Evolution beworben wird. Im sprichwörtlichen und wörtlichen Sinn kommen die «Leute auf der Strasse» viel eher mit anti-evolutionären und anti-wissenschaftlichen Ideen in Kontakt als mit der wissenschaftlichen Perspektive.
Kreationismus ist eine Weltsicht, in der Logik und empirische Daten praktisch keine Rolle spielen. Die kreationistische «anything goes»-Einstellung ist eine einzige grosse Übung im Bestätigungsbias. Man beachte etwa die Zusammenstellung «Was entspricht den Tatsachen?» aus dem Buch:
In der rechten Spalte werden «Konkrete Tatsachen» zusammengefasst, und alle diese «Tatsachen» sind unsinnig-nichtssagend bis falsch – Tatsachen werden zu «Tatsachen». Kreationismus ist ein Paradebeispiel für irrationales Denken.
Woran liegt es, dass sich Kreationismus Beliebtheit erfreut? Blosse Religiosität kann es nicht sein, denn der Grossteil zumindest der christlich Gläubigen in der Schweiz hat kein Problem mit Evolution. Ist vielleicht wichtig, dass die oben erwähnten Stände fehlen, an denen über Evolution gesprochen wird? Dass also Forschung rund um Evolution zu wenig öffentlich exponiert ist?
Einen Schritt in Richtung mehr öffentliches Verständnis für Evolution leistet das Denkfest: Der 3. Denkfest-Tag (13. September) widmet sich vollständig dem Thema Evolution – inklusive Konzert am Abend zu Musik von Joseph Haydn.
9 Comments on “Skeptische Randnotiz: Kreationismus beim Samstagseinkauf”
Das dürfte Kapitel 3, „Was sagt der Schöpfungsbericht?“, sein, nehme ich an?
Ja genau. Schau Dir mal den „schlagenden Beweis“ an mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung zur die Reihenfolge des Schöpfungsberichts an. Die Fehler in der Reihenfolge des Schöpfungsberichts wurden alle ignoriert und der Rest der Reihenfolge lässt sich einfach durch simple Logik erraten. Aber das Buch behauptet die korrekte Reihenfolge beweise, dass die Bibel übernatürlich inspiriert sei mit einer riesigen Wahrscheinlichkeit (was aber eine dreckige Lüge ist).
Vor etwa 20 Jahren habe ich mir einmal das Lesen der Bibel zugemutet. Durchaus schöne Analogien wie die Falschmeldung „das Senfkorn ist das kleinste Korn und wächst daraus der größte Baum“ ließen mich zur Überzeugung kommen, dass dieses Buch wohl nicht wörtlich gemeint sein kann. Vor drei Jahren habe ich dann Darwins Original verschlungen. Man kann seine Vermutungen nicht hoch genug loben, wenn man sich bewusst ist, dass er weder von den Halbwertszeit, noch von Genetik eine Ahnung haben konnte! Dieses Jahr habe ich mir Richard Dawkins angetan. Die gesammelten Fakten der letzten 200 Jahre sind enorm : hatte Darwin einige tausend Hinweise, so stehen wir heute bei einigen zigtausend Fakten, welche immer noch auf einen einzigen wissenschaftlichen Gegenbeweis warten…
Ramen!
Ich hatte mal 3 kleine Büchlein der ZJ in Händen:
das kleine Gelbe über die Bibel
Das kleine Grüne, für nach dem Weltuntergang
und das kleine Blaue, welches sagt, dass Darwinismus satanistisch ist.
Ramen, Schwestern und Brüder, wer 1000 Euro gewinnen will, submitted ein wiss. Paper zu einem Kreationistenjournal:
http://fsmosophica.wordpress.com/2014/03/30/contest-1-000-euro-for-the-first-falsification-of-a-cpskoc-in-creation-pseudoscience-mir
Dieses Buch ist ja Realsatire in Reinform. Aber was erwartet man auch von einer Gruppe, die sich mehr für das vermeintliche Ende der Existenz interessiert als für dessen Entstehung?
Andererseits scheinen sie auch auf diesem Gebiet nicht gerade Experten zu sein. Schliesslich ist auch der schon oft von ihnen prophezeite Weltuntergang bisher mehrfach ausgeblieben. Davon liest man aber vermutlich in dem Buch nichts, nehme ich an?
Auf welches Datum wurde eigentlich der Weltuntergang nach 1975 verschoben?
Du sprichst einen wichtigen Punkt an: Das gemeine Volk begegnet auf den Shoppingmeilen häufiger solchen Typen wie den ZJ oder anderen hochmotivierten Christenarten als wissenschaftlich orientierten Gruppierungen.
Deine Aussage, dass der Grossteil der Christen Evolution als Tatsache akzeptiert, würde ich mit Vorsicht geniessen. Ich komme aus dem evangelikalen Kreis (der verglichen mit der reformierten Kirche zwar klein, aber doch beachtlich gross ist), und da ist mir in dreissig Jahren nicht aufgefallen, dass Evolution akzeptiert wäre.
Der Evolutions-Tag am Denkfest interessiert mich. Habe aber die Befürchtung, dass ich als „einfacher Büromensch“ ohne wissenschaftliche Kenntnisse arg überfordert wäre. Leider habe ich online auch keine konkreteren Details zum Programm an jenem Tag gefunden. Gibt’s da was? Richtet sich der Anlass eher an Akademiker oder ans gemeine Volk?
Ciao Pat
Das Denkfest richtet sich an alle, die an Wissenschaft interessiert sind! 🙂
Es ist ganz bewusst kein Fachkongress, sondern eine Veranstaltung, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Öffentlichkeit sprechen.
Bezüglich der Akzeptanz von Evolution: Das ist tatsächlich etwas aus der Hüfte geschossen. Ich habe den Eindruck, dass bei den Reformierten Evolution eigentlich kein Thema ist, und bei den Katholiken haben zumindest einige Päpste bekundet, Evolution sei vereinbar mit katholischem Glauben, solange man akzeptiert, dass die „Seele“ des Menschen von Gott stamme. Mein Gedanke war: Reformierte und Katholiken machen die Mehrheit der Christen in der Schweiz aus, und somit würde die Mehrheit der Christen in der Schweiz zumindest passiv die Evolutionstheorie akzeptieren. Bei evangelikalen und freikirchlichen Kreisen sieht es aber ganz anders aus.
Grüsse
Marko
Die Schrift „95 Thesen gegen die Evolution“ ist auch sehr interessant. Auch sie enthält viele unsinnige Argumente und überholte Erkenntnisse. An einer Stelle wird beispielsweise dargestellt, wie eng die Bedingungen für die Entstehung eines Fossils sind. Im nächsten Argument wird dann widerum behauptet es gebe viel zu wenige Fossilien, bzw. „Missing Links“ fehlen. Der unsinnigste Teil ist jedoch der philosophische: dort wird beispielsweise behauptet, die Evolutionstheorie sei falsch, weil sie die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht beantworte. Oder dass die Evolutionstehorie die Folge von Philosophischen Strömungen jener Zeit sei (Naturalismus, Aufklärung etc) und damit nichts weiter als ein religiöses Dogma.
Hat jemand in diesem Forum das Buch von Thomas Nagel „Geist und Kosmos“ gelesen? Wenn ja, was haltet ihr davon? Nagel ist erklärtermassen Atheist, und er legt sich doch mit der Evolutionstheorie (bzw. ihrem Ausschliesslichkeitsanspruch) an. Mir war es, ehrlich gesagt, z.T. zu hoch, aber ich finde, er sät berechtigte Zweifel; auf einem völlig anderen Niveau.