Steckt in den Pyramiden übermenschliches Wissen?

Philipp WehrliAberglauben, BlogLeave a Comment

Eine Reihe schicksalhafter Verknüpfungen brachte es dazu, dass ich meine Skiferien in Ägypten verbringe. Unter dem Eindruck der ältesten und vielleicht beeindruckendsten Steinbauwerke der Menschengeschichte schreibe ich diese Zeilen. Thema: Was wussten die alten Ägypter über den Tod? Schlummert versteckt in den gigantischen Bauwerken das geheime Wissen aus einer Zeit, in der die Menschen noch direkter mit dem Kosmos und mit den Göttern verbunden waren und die Welt nicht durch die filternde Brille der Wissenschaften sahen? Steckt hinter dem Bau der Pyramide vielleicht gar eine ausserirdische Zivilisation, die uns ihr Wissen weitergeben will?

Der Verstorbene ist im weissen Gewand dreimal abgebildet: Oben vor den Totenrichtern kniend, unten links, wie er vom schakalköpfigen Anubis zum Gericht geführt wird. Hier wiegt Anubis das Herz des Toten gegen die Feder der Maat, während die krokodilköpfige Bestie Ammit wartet, ob sie das Herz fressen darf. Der ibisköpfige Thot protokolliert das Ergebnis. Bei positivem Urteil führt Horus den Verstorbenen zu Osiris, ins zweite Leben. 
Quelle: British Museum

Vier Dinge haben mich an der altägyptischen Kultur besonders beeindruckt:

  1. Der ausserordentlich gute Zustand einzelner Bauwerke, der nicht zuletzt der unglaublichen Präzision zu verdanken ist, mit der Steinbrocken von bis zu 70 Tonnen zusammengefügt wurden. 
  2. Die unglaubliche Menge antiker Prachtstücke: Stellenweise liegen tonnenschwere, mit Hieroglyphen verzierte Steinbrocken in der Wüste verstreut, dass man fast zwangsläufig darauf herum trampelt.
  3. Die sagenhafte Logistik, die meist vollkommen vergessen geht: Herodot berichtet von 100’000 Arbeitern, die an der Cheopspyramide tätig waren. Aufgrund von detaillierten Buchhaltungen wissen wir heute, dass es eher etwa 10’000 waren, die jeweils ein Viertel des Jahres an der Pyramide arbeiteten, um dann wieder auf ihre Felder zurück zu kehren. Diese mussten rekrutiert, geschult, untergebracht, verpflegt und so organisiert werden, dass sie die Steine im richtigen Moment an den richtigen Ort brachten. Und die Arbeiter waren keineswegs unterdrückte Sklaven, sondern wurden gut verpflegt, mit Fleisch, Bier und Unterhaltung. Mit Grauen stelle ich mir die hygienischen Bedingungen vor. Zum Vergleich: Noch beim Bau des Gotthardtunnels 1872-1880 sind bei einer ähnlich grossen Baustelle über tausend Arbeiter an Seuchen gestorben. Die Götter wissen, wo die 10’000 Ägypter ihr Geschäft hin machten.
  4. Im Gegensatz zu diesen Ehrfurcht gebietenden Leistungen steht aber der allgegenwärtige Eindruck einer heillosen Verwirrung dieser Menschen, wenn sie versuchten, sich ein Bild von der Welt, vom Leben und vom Tod zu machen.

Der Tod ist das Kernthema der altägyptischen Kultur. Das Leben war eine einzige Vorbereitung auf den Tod, bzw. auf das zweite Leben. Die Pyramiden waren sozusagen Startrampen, auf denen die Pharaonen in ein ewiges Leben bei den Göttern katapultiert werden sollten. Aus der Grabkammer führt ein auf Millimeter perfekt gerader Schacht direkt auf die Sterne zu, die damals unbewegt über dem Nordpol am Himmel standen: Der Weg in die Ewigkeit. In späteren Pyramiden waren detaillierte Anweisungen an die Wände geschrieben, wie der verstorbene Pharao den Übergang ins zweite Leben schaffen sollte. Denn beim kleinsten Fehler würde er den zweiten Tod sterben, von einem grässlichen, krokodilköpfigen Ungeheuer gefressen und bis in alle Ewigkeit dumpf und trist in der Unterwelt dahinvegetieren. 

Mit dem Pharao hätte aber das gesamte Volk jede Hoffnung verwirkt. Denn das Volk war zur Zeit des Cheops auf Gedeih und Verderb mit dem Schicksal des Pharaos verbunden. Er alleine, der schon halb göttlich war, durfte es wagen, vor das Totengericht zu treten. 421 Totenrichter musste er überzeugen, dass er ein gutes Leben geführt hatte, damit sich seine Seele mit dem Leichnam vereinigen konnte.  Voraussetzung war, dass der Leichnam vollständig erhalten war. Diese Vorstellung basiert wohl auf einem grundlegenden Erlebnis, das die Ägypter mit dem Tod hatten: Sie fanden unversehrte, vertrocknete Leichen im Wüstensand. Diese Wüste lag auf der westlichen Seite des Nils, die auch die Seite der untergehenden Sonne war. Die westliche Seite musste also die Seite der Verstorbenen sein. Im Osten aber, auf der Seite der Lebenden, auf der auch die Sonne aufging, verwesten die toten Körper und konnten nicht in die Ewigkeit eingehen.

Damit die Leichen unversehrt blieben, entwickelte man die raffinierten Einbalsamierungstechniken. Leber, Darm, Niere und Gehirn wurden durch ein Loch im Kopf aus dem Körper genommen: Eine archaische chirurgische Meisterleistung. Dann wurden diese vier Organe, die zu feucht waren, als dass man sie im Körper hätte lassen können, in vier Urnen gelegt, die neben der Mumie ins Grab kamen. Der Körper wurde ausgeblutet, und mit Natron wurde dem Leichnam das Wasser entzogen. Danach wurde er mit verschiedenen Ölen so einbalsamiert, dass die Haut und die Muskeln nicht spröde wurden. Diese Technik ist sicher bemerkenswert. Andererseits schiene mir schon bei einem Volk von Jägern und Sammlern nicht so erstaunlich, wenn sie Fleisch haltbar oder Leder und Haut geschmeidig machen können. Von solchen Techniken hängt ja ihr Überleben ab. Wenn zusätzlich ein trockenes Wüstenklima hilft, ist wohl kein kosmisches Wissen über das Leben nach dem Tod notwendig, damit die Körper mumifiziert bleiben.

Schwieriger war da schon die Wanderung durch das Labyrinth der Unterwelt. Dazu musste der Pharao mit komplizierten Zaubersprüchen gewappnet sein, damit er die Fallen und Irrwege überwinden und die hier lauernden Dämonen und Bestien besänftigen konnte. Zweifellos bereitete sich der Pharao ein Leben lang gründlich auf diese grösste und gefährlichste seiner Aufgaben vor. Zudem waren hochrangige Priester damit beauftragt, dem Leichnam das nötige Wissen zuzurufen, falls dieser die Sprüchlein vergessen sollte. Aus Sorge, dass diese Priester Fehler machen könnten, liessen spätere Pharaonen den Algorithmus, der sie erlösen sollte, in die Wände der Grabkammer meisseln. Zu viel stand auf dem Spiel.

Die wichtigste rituelle Handlung war aber die Mundöffnung. Ein Priester berührte  mit mit einem Werkzeug aus Feuerstein die Sinnesorgane auf der Totenmaske und erweckte so die Sinne des Toten mit Zaubersprüchen zum Leben, in der Hoffnung, dass diese so im Jenseits wieder funktionsfähig wären. Möglicherweise wurde die Leiche bei dieser Gelegenheit sogar mit einem galvanischen Element elektrisiert und so zum Zucken gebracht. Jedenfalls wurden Batterie-ähnliche Elemente mit Säureresten gefunden. Dies ist aber Spekulation.

So viel, grob zusammengefasst, zum Wissen der alten Ägypter über den Tod. Insider werden meine holzschnittartige Schilderung kritisieren. Völlig zu Recht: Mit meinen Angaben wird niemand den Weg in die Seligkeit schaffen! Ich behaupte aber: Völlig unabhängig von den Details der angewendeten Magie können wir bereits aus den geschilderten Eckpfeilern ein valables Urteil bilden. Handelt es sich hier um kosmisches oder gar göttliches Wissen? Oder sind das nicht vielmehr Zeichen einer verwirrten Frühphase, als die Menschheit gerade erst dem Nebel absoluter Unwissenheit entstiegen war?

Wir wissen bis heute nicht, wie die alten Ägypter derart riesige Steinblöcke so präzise aus dem Fels schlagen, sie so weit transportieren und in diesem Tempo so passgenau zusammensetzen konnten. Versuche, auch nur wenige vergleichbare Steine ohne moderne Maschinen aufeinander zu schichten, offenbarten zumindest gravierende Wissenslücken der heutigen Bauleiter. Das sollte aber nicht erstaunen. Kolossalsteine aus dem Felsen hauen und aufstellen war das Spezialgebiet Nummer eins der Ägypter. Die besten Maschinenbauer schaffen es heute kaum noch, ein einzelnes Zahnrad einer 200 Jahre alten Lokomotive in brauchbarer Qualität nachzubauen. Nicht, weil sie dümmer wären als die Konstrukteure vor 200 Jahren, sondern weil sie die Übung verloren haben. Weil heute andere Techniken angewendet werden. Kaum jemand beherrscht heute noch das Handwerk aus dem 19. Jahrhundert. Dennoch würde kaum jemand behaupten, die ersten Lokomotiven seien von Ausserirdischen erbaut worden.

Die alten Ägypter übertrafen den Höhepunkt aus 1,5 Mio. Jahren Steinzeit. Sie hatten im Vergleich zu den Steinzeitmenschen viel bessere Werkzeuge. Und sie hatten zum ersten Mal eine Zivilisation, in der 100’000 Menschen koordiniert und organisiert am gleichen Projekt arbeiten konnten. Zudem konnten sie unmittelbar auf deren Wissen aufbauen. Damit waren sie in der Lage, Steinbauten zu errichten, wie es davor und danach niemand schaffte. Es ist völlig klar, dass wir mit ihnen auf diesem Gebiet niemals mithalten können.

Dagegen wirkt das, was sie über den Tod, über das Leib-Seele Problem und über die Astronomie wussten, doch sehr steinzeitlich. Wenn jemand Nieren, Leber, Gedärme und Gehirn in vier verschiedenen Gefässen neben dem Leichnam vermodern lässt und glaubt, damit der Seele einen Dienst zu tun, hat er offensichtlich keine Ahnung, wie der menschliche Körper funktioniert, wie Geist und Bewusstsein zustande kommen und was Leben und Tod eigentlich sind. Selbst wenn jemand an eine unsterbliche Seele glauben will, wird er wohl kaum annehmen, dass der Verbleib des Darmes nach dem Tod einen Einfluss auf das Wohlergehen dieser Seele hat. Und falls doch, so wird er doch hoffentlich nicht glauben, den Darm in einen Blumentopf zu tun, sei eine besonders ausgefeilte Methode, die Seele zu retten. Diese Vorstellung bedeutet nämlich konkret: Wenn jemand wegen Darmkrebs den Darm herausschneiden lassen muss und nun ein künstliches Verdauungssystem trägt, ist seine Seele verloren. Ich kannte eine beeindruckende Frau, der genau das passiert ist, und ich kann versichern, dass diese nach der Operation nicht weniger Seele hatte, als irgendein Pyramiden-Esoteriker.

Wie steht es mit dem kosmischen Wissen? – Es ist verständlich, dass der Auf- und Untergang der Sonne einen Steinzeitmenschen an Geburt und Tod erinnern. Tag und Nacht mögen auch für moderne Dichter ganz brauchbare Metaphern für Leben und Tod sein. Aber kein Mensch mit minimalen Kenntnissen der Astronomie würde deswegen ernsthaft ein Gebiet östlich des Nils mit dem Leben und ein Gebiet westlich des Nils mit dem Tod in Verbindung bringen und in Schrecken erstarren, weil die Gebeine dereinst auf der falschen Seite liegen könnten. Mindestens von einem Ausserirdischen, der mit hightech-Flugkörpern durch das Weltall zu uns geflogen ist, dürfte man erwarten, dass er erkennt, dass ‚Osten’ und ‚Westen’ nicht Orte sind, sondern Richtungen auf einer sich drehenden Erdkugel. Ob ein Gebiet östlich oder westlich ist, hängt davon ab, wo ich stehe.

Die ägyptische Kultur, so wunderbar sie uns auch erscheint, ist sicher nicht von Raumfahrern inspiriert. Raumfahrer hätten den Tod mit Sicherheit auch nicht ausgerechnet mit unserer Sonne in Verbindung gebracht. Sie hätten ganz andere Metaphern verwendet und sie hätten erkannt, dass es sich um Metaphern handelt.

Kurz zusammengefasst lautet mein Urteil: Die Pyramiden von Gizeh sind die Krönung und die Übersteigerung aus 1’500’000 Jahren Steinzeit, aber das Epizentrum naturwissenschaftlicher Unwissenheit. Die alten Ägypter waren paralysiert von der Vorstellung des Todes. Und was tut ein logistisch perfekt organisiertes Volk brillanter Steinmetze, um die gigantische Schrecklichkeit abzuwenden? – Es tut das, was es kann: Es baut ein noch gigantischeres Steinbauwerk, das aller Vergänglichkeit trotzt. Das sind die Pyramiden von Gizeh.

Ergänzende Information

Erklärung rätselhafter Zahlenverhältnisse:
Als Beleg dafür, dass die Pyramiden von Ausserirdischen gebaut wurden, werden oft verschiedene Zahlenverhältnisse genannt, an denen man angeblich erkennt, dass die Erbauer der Pyramiden den Abstand zur Sonne oder die Lichtgeschwindigkeit gekannt haben sollen. Dass man solche Zahlenverhältnisse überall findet, wenn man danach sucht, zeigt der Mathematiker Gero von Randow in ‚Mein paranormales Fahrrad’. Dass diese Zahlenmystiker nach speziellen Zahlen gesucht haben ist offensichtlich. Denn die Lichtgeschwindigkeit und der Abstand zur Sonne werden in Metern pro Sekunde und in Metern angegeben, die erst von Napoleon zur verbindlichen Masseinheit erklärt wurden.

Weitere Angaben zum Totenkult:
https://www.aegypten-geschichte-kultur.de/das-totengericht
https://de.wikipedia.org/wiki/Altägyptisches_Totengericht

Pyramiden-Hokuspokus mit Verkaufspreisen bis 200’000.- €:
http://www.horusmedia.de/2005-pyramide/pyramide.php

Noch einmal Pyramiden-Hokuspokus, diesmal etwas nüchterner:
https://www.freenet.de/nachrichten/wissenschaft/die-kraft-der-pyramiden_726242_4702462.html

Eine umfangreiche und fachkundige Erklärung, wie die Pyramiden gebaut werden konnten, vom Baupraktiker Franz Löhner:
https://www.cheops-pyramide.ch/index.html

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References

  1. Genau: 42. Über 4000 Jahre vor Douglas Adams (aus dem Buch: Per Anhalter durch die Galaxie) war dies bereits die Antwort.

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