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Esoterik: Die Suche nach Zauber in einer entzauberten Welt

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Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet also nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: dass man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt.

Diese Beschreibung der «Entzauberung der Welt» stammt aus der Feder des deutschen Soziologen Max Weber. Das, was Weber 1919 beobachtete, müsste im Grunde nach wie vor zutreffen: Gebettet auf die allgegenwärtigen Früchte der rationalen Welterkundung, also der Wissenschaft, ist unser Leben heute so bequem wie nie zuvor. Ganz so klar ist die Sache mit der Entzauberung aber nicht. Hätte Weber die Gelegenheit, eine der Esoterikmessen zu besuchen, welche heute fast im Wochenrhythmus Tausende von Besucherinnen und Besuchern anlocken, müsste er verblüfft feststellen, dass in einer hochrationalisierten Welt recht viele Menschen regelmässig in den irrationalen Gewässern der Esoterik segeln.

Esoterik ist im heutigen Sprachgebrauch ein Sammelbegriff für zahlreiche Lehren, Behauptungen und Produkte, von Astrologie und Aurafotografie über Guru-Kulte bis hin zu mit Toten sprechende «Medien». Im Alltag ist der Begriff Esoterik meistens negativ konnotiert, und soll zum Ausdruck bringen, dass etwas Humbug sei. Aus mindestens zwei Gründen ist Esoterik aber ein relevantes Phänomen.

Esoterik lehnt fundamental die wissenschaftliche Methode ab, und die Wahrheit esoterischer Lehren soll über andere Wege belegbar sein.
Zum einen ist Esoterik aus erkenntnistheoretischer Perspektive eigentümlich. Über die Jahrhunderte gab es zahlreiche esoterische Strömungen, deren gemeinsamer Kern der Glaube ist, dass eine besondere Art geheimen Wissens existieren soll. Dieses geheime Wissen soll uns in einem ganz unmittelbaren, diesseitigen Sinn grosses Glück und grenzenlose Gesundheit bescheren, so es uns nur gelingt, das Wissen anzuzapfen (vgl. von Stuckrad 2004). In der esoterischen Praxis indes ist dieses Wissen offenbar aber überhaupt nicht geheim, finden sich im Eso-Repertoire doch zahllose anwendungsfertige Mittel und Methoden, um grosses Glück und grenzenlose Gesundheit zu finden. Etwas aber ist auch bei der modernen, «angewandten» Esoterik geheim: Die Art und Weise, wie das, was behauptet wird, belegt werden kann. Esoterik lehnt fundamental die wissenschaftliche Methode ab, und die Wahrheit esoterischer Lehren soll über andere Wege belegbar sein. Um welche Wege es sich genau handelt, ist unklar – sie sind de facto geheim, da unerklärbar. Diese irrationale erkenntnistheoretische Argumentation, welche sich im Satz «Wenn du fragen musst, verstehst du das eh nicht» erschöpft, ist im Grunde eine maximal komplexitätsreduzierte Kopie klassischer religiöser Offenbarungstheologie.

Zum anderen ist Esoterik als Lifestyle-Produkt der Besserbegüteten längst salonfähig. Ein Traumfänger über dem Bett wird ja wohl nicht schaden; ein, zwei Kristalle für das energetische Gleichgewicht sind nicht verkehrt; und warum nicht ab und zu das Ego mit einer Rückführungstherapie (Hypnose, bei der wir erfahren, wer wir im früheren Leben waren) massieren? Esoterik bietet feinstofflich-energetisch-mystischen Instant-Eskapismus. Die grösste Anstrengung beim Eintauchen in die Welt der Esoterik ist das Zücken des Portemonnaies – eine vertiefte, intellektuell fordernde und fördernde Auseinandersetzung mit Weltanschauungen und Dogmen existiert nicht; wenn Produkt A nicht passt, sind ja immer noch Produkte B und C da. Anything goes.

Esoterik ist vielleicht Ausdruck einer neuen Dialektik der Aufklärung
Esoterik ist vielleicht Ausdruck einer neuen Dialektik der Aufklärung: Eine entzauberte Welt führt dazu, dass zunehmend mehr Menschen zunehmend irrationaleren Zauber suchen. Wissenschaft ist zwar in unser aller Lebenswelt vorhanden, aber in einer durchrationalisierten Welt erleben wir nicht mehr hautnah, wie Wissenschaft Fortschritt bringt. Wir verlieren das Gespür für die Unterschiede zwischen Wissenschaft und Esoterik – und spielen darum mit dem Feuer. Warum mit dem Feuer?

Esoterik regt in der Regel zum Schmunzeln und nicht zur Besorgnis an. Zwar gibt es Einzelfälle, bei denen Menschen direkt zu Schaden kommen, wie etwa im Kontext von Sekten. Im Grossen und Ganzen aber erachten wir Esoterik als zwar irrational, aber auch harmlos; wenig mehr als eine kuriose Freizeitbeschäftigung. Esoterik hat denn auch durchaus positive direkte Folgen für die Beteiligten. Wer sich mit Esoterik beschäftigt, tut dies oft in einer Gruppe gleichgesinnter, und sozialer Austausch wirkt sich tendenziell positiv auf unser Gemüt und Gesundheit aus. Zudem gehen viele esoterische Praktiken in Richtung Entspannung und Meditiation, sodass Esoterik als Hobby eine Art Wellness-Programm darstellen kann.

Die potenzielle Gefährlichkeit der Esoterik offenbart sich also nicht zwingend in ihren unmittelbaren Folgen. Das Hauptproblem mit Esoterik ist eher, dass jene, die der Esoterik anhängen, in antiwissenschaftlichen, irrationalen Ideensystemen marinieren und diese Ideen mit der Zeit verinnerlichen. Esoterik ist Brutstätte für vormodernes, zauberhaftes Denken.

Weiterführende Quellen

Adorno, Theodor W., and Max Horkheimer. 1947. Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main: Fischer.

Stuckrad, Kocku von. 2004. Was ist Esoterik: Kleine Geschichte des geheimen Wissens. München: C.H.Beck.

Weber, Max. 1919. Wissenschaft als Beruf. Stuttgart: Reclam.

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