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Spiritualität: Die individualisierte leere Lehre

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Wie religiös wir sind, entscheidet sich vor allem während der Adoleszenz. Wenn wir in einem Umfeld aufwachsen, welches geprägt ist von Armut und allgemeiner materieller Unsicherheit, sind wir stärker in religiöse Gemeinschaften eingebunden. Wenn wir hingegen in eher gesicherten Umständen aufwachsen, also von frühem Kindesalter an Bildung geniessen können, uns keine Sorgen darüber zu machen brauchen, ob wir auch morgen etwas auf dem Teller haben, und wenn Krankheit und Gewalt uns nicht wirklich bedrohen, dann sind wir im späteren Leben eher weniger in Religion eingebunden. Da die Lebensstandards in den letzten Jahrzehnten in den meisten Ländern gestiegen sind, ist die Konsequenz deutlich: Religiosität nimmt tendenziell weltweit ab (vgl. Norris und Inglehart 2012).

Dieser Prozess kann nach Wilson (1966) verstanden werden als Säkularisierung: Religiöse Institutionen, religiöse Handlungen und religiöses Bewusstsein verlieren mit der Zeit an gesellschaftlicher Bedeutung. Die Folge von Säkularisierung ist aber nicht zwingend eine Abkehr von jeder Art des Glaubens. Das Gegenteil könnte sogar der Fall sein, wie Heelas et al. (2004) argumentieren: Religion wird ersetzt durch Spiritualität.

Religiös zu sein, ist altmodisch; spirituell zu sein, ist modern.
Was genau ist Spiritualität? Es gehört heute in gewissen Kreisen fast schon zum guten Ton, beim Schlürfen eines Frappuccino nach der Yoga-Lektion zu bemerken, dass man natürlich nicht religiös sei, aber doch spirituell. Religiös zu sein, ist altmodisch; spirituell zu sein ist modern und zeugt davon, dass man bescheiden und tiefgründig ist – «Ich glaube, dass es da mehr gibt». Wer spirituell ist, sieht sich als Teil von etwas Grösserem, und dieses Grössere ist nicht wissenschaftlich-rational fassbar.

Spiritualität ist ein diffuses Konzept.
Spiritualität ist ein diffuses Konzept. Um es greifbarer zu machen, lohnt es sich, zwei ihrer Merkmale anzusprechen. Zum einen ist Spiritualität eine fundamental individualistische Weltsicht und Praxis, im Gegensatz zum kollektivierenden Charakter klassischer Religion. Wer spirituell ist, kann einem ausgedehnten philosophisch-religiösem Eklektizismus frönen. Kohärente Lehren und Dogmen entstehen dabei keine, aber ein Sammelsurium an Versatzstücken bedeutet, dass nach dem eigenen Gusto ein Bouquet an genehmen Dingen zusammengestellt werden kann (beliebt sind etwa Klischees rund um asiatische oder schwarzafrikanische Philosophien und Naturreligionen). Und dieses Bouquet beinhaltet in der Regel nur Schönes und Sanftes; intellektuell fordernde moralische Dilemmata und dergleichen bleiben aus. «Weil ich es mir wert bin», könnte das Motto für diese leicht narzisstische Triebfeder von Spiritualität sein.

Zum anderen hat Spiritualität besonders in der Berührung mit Esoterik eine bemerkenswerte Kommodifizierung durchgemacht (York 2001). Der subjektive Zustand der spirituellen Erfahrung wird nicht über zeitintensive Rituale und asketische Zuwendung erreicht, sondern über Konsum von Produkten und Dienstleistungen. Ganz im Geiste der Esoterik wird damit ein quasi-religiöses Instant-Erlebnis als Produkt kauf- und konsumierbar.

Ist der Trend hin zu mehr Spiritualität ein bedenklicher? Es kann argumentiert werden, dass Spiritualität fast definitiv keine Gefahr der Radikalisierung bietet – wenn alles nur oberflächlich und austauschbar ist, gibt es auch keinen Nährboden, auf welchem Extremismus gedeihen kann. Andererseits kann das Produkt Spiritualität möglicherweise zu einem Konditionierungseffekt führen: Bestimmte spirituelle Gefühle im Sinne eines staunenden Wunderns über die Schönheit der Welt können wir auch rein vernunftgeleitet entfalten. Wenn wir uns aber antrainieren, spirituelles Empfinden einzig durch den Konsum spiritueller Hilfsmittel zu aktivieren, verkommt die spirituelle Erfahrung zu einer letztlich ganz und gar profanen Angelegenheit.

Weiterführende Quellen

Heelas, P., Woodhead, L., Seel, B., Szerszynski, B., & Tusting, K. (2004). The Spiritual Revolution: Why Religion Is Giving Way to Spirituality. Malden, MA: Wiley-Blackwell.

Norris, P., & Inglehart, R. (2012). Sacred and Secular: Religion and Politics Worldwide. Cambridge: Cambridge University Press.

Wilson, B. R. (1966). Religion in secular society: a sociological comment. Watts.

York, M. (2001). New Age Commodification and Appropriation of Spirituality. Journal of Contemporary Religion, 16(3), 361–372.

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