Am 23. Oktober, um 10:23 Uhr morgens, fand in Zürich eine 10:23-Aktion statt: Wir hatten zu einer öffentlichen Massen-«Überdosis» mit homöopathischen Mitteln aufgerufen.
20 Minuten hat über die Aktion berichtet:
Die Aktion hat unterschiedliche Reaktionen ausgelöst, von positiv-wohlwollenden über neutral-apathische bis hin zu deutlich negativ-kritisierenden. Für skeptisch Eiongestellte sind lobende, unterstützende Gesten zwar nett, aber auch ein bisschen langweilig, wenn nicht gar suspekt (nichts fürchten Skeptikerinnen und Skeptiker mehr als «Groupthink»). Wer skeptisch ist, lechzt nicht nach Bestätigung, sondern nach Kritik, nach dem Hinterfragen der eigenen Position, da doch gerade das Hinterfragen von Hypothesen gepaart mit grundsätzlicher und unbedingter Ergebnisoffenheit den rationalen Skeptizismus, wie er hier vertreten wird, ausmacht.
Glücklicherweise provozierte der 20 Minuten-Artikel zahlreiche Kommentare, von denen die geschätzte Mehrheit eher kritisierend ist. In diesem Blogeintrag soll versucht werden, die häufigsten negativen Argumente zu gruppieren und, soweit möglich, eine kleine Replik auf das Kernargument der jeweiligen Kritik zu formulieren. Zuvor aber ein paar Worte über Sinn und Zweck dieser Aktion.
Warum die 10:23-Aktion?
Die 10:23-Aktion ist auf den ersten Blick eine etwas gar makabre Angelegenheit. Öffentlich eine Überdosis von Medikamenten einzunehmen, suggeriert das Bild von Massen-Suizid, was in der Tat nicht sehr lustig ist. Die 10:23-Aktion ist aber keine Androhung von Freitod, denn sie enthält im Kern einen für alle klaren Widerspruch: Die «Überdosis» besteht aus homöopathischen Globuli, und es ist weithin bekannt, dass Homöopathie harmlos ist. Mit dem Bild öffentlicher Massenvergiftung wird also kokettiert gerade weil keine Vergiftung stattfinden kann.
Es handelt bei der 10:23-Aktion um ein Mittel der Aufmerksamkeitsgenerierung. Man mag es als billigen «Medienstunt» abtun, oder (so unsere Lesart), als «awareness building»; das Ziel ist jedenfalls, auf etwas aufmerksam zu machen. Das, worauf aufmerksam gemacht werden soll, ist der Umstand, dass die Prinzipien der Homöopathie (z.B. die zwei Grundpfeiler Gleiches heilt Gleiches und höhere Verdünnung bringt stärkere Effekte) auf einem nicht-wissenschaftlichen Fundament fussen und eine über den Placebo-Effekt reichende Wirksamkeit von Homöpathie nach wie vor nicht erwiesen ist.
Typologie der Negativkommentare
Die im Folgenden zusammengefassten Kommentar-Typen sind nicht immer ganz trennscharf, da die Kommentare bisweilen mehr als ein Argument aufgreifen. Dennoch lassen sich in der Tendenz Anhäufungen ähnlicher Negativkommentare ausmachen.
1. Der Placebo-Effekt genügt
Eine erste Gruppe vertritt den Standpunkt, dass der Placebo-Effekt bei Homöopathie deren Einsatz rechtfertigt:
Die «Placebo genügt»-Gruppe glaubt nicht an die Behauptungen der Homöopathie, sieht sie aber insofern als nützlich, als sie mit ihrem Placebo-Effekt einen alles in allem nützlichen Effekt hat.
1.1 Kommentar
Das Argument, dass der Placebo-Effekt positive Aspekte hat (z.B. wird damit möglicherweise das Gesundheitssystem entlastet, weil Leute mit harmlosen, unspezifischen Symptomen sich mit Globuli therapieren anstatt Ärzteschaft zu konsultieren) steht nicht in logischem Zusammenhang mit der Frage, wie Homöopathie aus kritisch-wissenschaftlicher Perspektive zu bewerten ist. Homöopathie-Verfechter verkaufen Homöopathie nicht als reine Placebo-Mittel, sondern schreiben homöopathischen Mitteln ganz explizit Wirkungen jenseits des Placebo-Effektes zu. Das geht z.B. so weit, das behauptet wird, Homöopathie könne Krebs heilen.
Ein beliebtes Argument im Zusammenhang mit dem «Placebo genügt»-Argument ist, dass der Placebo-Effekt nicht nur Effizienzgewinne bedeuten könne, sondern auch ethisch vertretbar sei – schliesslich ist das Ziel, dass es den Menschen besser geht. Wenn ein Placebo dazu beiträgt, umso beser. Homöopathie ist aber aus medizin-ethischer Perspektive problematisch, wie der Medizinethiker David Shaw argumentiert. Einige seiner Kritikpunkte sind:
- Homöopathie verleitet Menschen dazu, bei ernsthaften Gebrechen Homöopathie anstatt rationale Medizin zu verwenden (z.B. ist es hinlänglich bekannt, dass Glaube an Homöopathie die Impfbereitschaft senkt; vgl. z.B. hier, hier und hier).
- Homöopathie zu verabreichen, bedeutet für wissenschaftlich ausgebildete Ärzteschaft, ihre Patienten zu täuschen. Das widerspricht dem modernen, aufgeklärten Verständnis des Verhältnisses von Patienten zur Ärzteschaft.
- Homöopathie unkritisch zu begegnen, kann dazu führen, dass Verständnis und Akzeptanz von Wissenschaft abnehmen, weil Homöopathie einen klaren Antagonismus zwischen Homöopathie und «Schulmedizin» postuliert.
- Homöopathie unkritisch zu behandeln lenkt auch davon ab, dass es «komplementärmedizinische» Verfahren gibt, welche tatsächlich wirken.
2. Therapiefreiheit
Ein Gruppe der Kommentierenden fordert Therapiefreiheit:
Alle sollen jene Heilverfahren verwenden dürfen, welche sie verwenden möchten.
2.1 Kommentar
Der Anspruch auf Therapiefreiheit steht nicht in logischem Zusammenhang mit der Frage, wie Homöopathie aus kritisch-wissenschaftlicher Perspektive zu bewerten ist. Mit der 10:23-Aktion wurde von uns nicht gefordert, Homöopathie zu verbieten. Eine Frage, die sich in diesem Kontext dennoch aufdrängt, ist aber, ob die Krankenkassen in der Grundversicherung Methoden vergüten sollen, welche ohne evidenzbasiert-rationale Basis sind.
3. Tiere kennen kein Placebo
Ein Argument, mit welchem einige der Kommentierenden meinen, Homöopathie zu stützen, ist deren Wirksamkeit bei Tieren:
Gemeint sind damit andere Tiere als der Mensch (wir sind natürlich auch Tiere). Da andere Tiere nicht an Homöopathie glauben können, kann bei ihnen auch kein Placebo-Effekt auftreten.
3.1 Kommentar
Der Mythos, dass es bei Tieren (d.h., anderen Tieren als dem Menschen) und bei Säuglingen keinen Placebo-Effekt gebe, ist nicht totzukriegen. Tatsächlich verfügen, so viel wir gegenwärtig wissen, keine Tiere ausser uns Menschen über die nötigen kognitiven Kapazitäten, um eigene Gebrechen reflektiert wahrzunehmen und für die Therapieversuche bestimmte Erwartungshaltungen aufzubauen. Placebo-Effekte funktionieren aber nicht nur über bewusste Erwartungshaltungen, sondern auch über unbewusste Kanäle. So ist etwa unbestritten, dass Tiere über Konditionierung bestimmte Reaktionen «erlernen», oder, dass die Interaktion zwischen Menschen und anderen Tieren bestimmte physiologische Effekte hervorrufen kann (vgl. z.B. hier, hier und hier).
Wer behauptet, es gebe bei Tieren keinen Placebo-Effekt, beruft sich in aller Regel auf eigene anekdotische Erfahrungen (vgl. Punkt 6 unten), was das Argument zusätzlich schwächt.
4. Pseudo-Skeptizismus
Einige Kommentierende sehen sich als auch skeptisch:
Dieser Pseudo-Skeptizismus kann auch als «skeptisch, aber…» umschrieben werden: Skeptizismus kann in unterschiedlichem Masse angewendet werden, und die 10:23-Aktion ist quasi eine Überdosis Skeptizismus.
4.1 Kommentar
Hier liegt eine unterschiedliche Auffassung des Begriffes Skeptizismus vor. Skeptisch zu sein, bedeutet nicht, gewissen Dingen ablehnend gegenüber zu stehen, und dabei selektiv zu wählen, welchen Dingen man mit Ablehnung begegnet und welchen nicht. Rationaler, wissenschaftlicher Skeptizismus interessiert sich nicht dafür, was zutrifft und was nicht, sondern für die Art und Weise, wie zuverlässig in Erfahrung zu bringen ist, was zutrifft und was nicht. Skeptizismus als das Anwenden kritisches Denkens ist also eine Methode der Welterkundung, und als solche der Kern der wissenschaftlichen Methode. Ein derart verstandener Skeptizismus wird nicht abgelegt, wenn eindrückliche Anekdoten erlebt werden.
5. Homöopathie = Pflanzenheilkunde
Homöopathie wird in einigen Kommentaren in Zusammenhang mit Pflanzenheilkunde gebracht:
5.1 Kommentar
Homöopathie hat nichts mit Pflanzenheilkunde, oder Phytotherapie, zu tun. Rationale Pflanzenheilkunde basiert auf evidenzbasierten, wissenschaftlichen Grundlagen und fragt nach aktiven Inhaltsstoffen bei Pflanzen. Homöopathie verwendet bei verschiedenen Mitteln zwar auch Pflanzen als Ausgangssubstanz, dabei werden diese Substanzen aber so weit verdünnt, dass pharmakologisch gesehen keine Reaktionen mehr gegeben sind.
6. Anekdoten > Daten
Die grösste Gruppe der Kommentare beruft sich auf positive Erfahrungen mit Homöopathie:
Hier werden Beispiele ins Feld geführt, welche die Wirksamkeit der Homöopathie trotz fehlender wissenschaftlicher Indizien belegen. Das sind in der Regel Gebrechen oder Zustände, welche im Zuge einer Therapierung mit Homöopathie gelindert oder vollständig beseitigt werden konnten.
6.1 Kommentar
Korrelation ist nicht gleich Kausalität. Die beschriebenen Erfahrungen mögen für die Betroffenen allesamt von grosser Bedeutung sein, nur sind anekdotische Erlebnisse nicht geeignet, um die Wirksamkeit von Heilmitteln zu beurteilen (das betrifft Homöopathie genauso wie rationale Medizin). Wenn wir uns etwa die ellenlange Liste der kognitiven Biases auf Wikipedia zu Gemüte führen, wird schnell klar, dass unsere alltäglichen Interpretaionen von Ereignissen schnell an ihre Grenzen stossen – wir sehen Muster, wo keine sind, geben subjektiv-emotionalen Erlebnissen mehr Gewicht als objektivierend-statistischen Daten, und geben ganz allgemein Informationen, welche unsere Standpunkte stützen, mehr Gewicht als Informationen, welche unsere Standpunkte in Frage stellen. Kurzum: Wir neigen zu Selbsttäuschung. Diese Selbsttäuschung ist der Kern anekdotischer Argumentation, und um die Effekte von Selbsttäuschung zu reduzieren, kommt rational-skeptisches Denken, kommt Wissenschaft zum Zug.
7. Big Pharma
Wenn Homöopathie kritisiert wird, werden Einflüsse der Pharmaindustrie vermutet:
7.1 Kommentar
Nein, wir sind nicht von Big Pharma gesponsert, und wir stehen auch den Behauptungen von Pharmaunternehmen kritisch gegenüber.
8. Schattenseiten der «Schulmedizin»
Eine weitere Gruppe sieht die «Schulmedizin» als potenziell gefährlich:
Bei der «Schulmedizin» laufe nicht alles sauber ab. Bei diesem Argument (verwandt mit dem «Big Pharma»-Generalverdacht) wird über die motivationalen Strukturen der «Schulmedizin» spekuliert, die nicht immer lauter seien.
8.1 Kommentar
Der Verweis auf die Schattenseiten der «Schulmedizin» ist für sich genommen ein «Red Herring»-Fehlschluss: Die Behauptung, Homöopathie sei aus kritisch-wissenschaftlicher Perspektive problematisch, wird nicht mit dem Verweis auf Probleme der «Schulmedizin» entkräftet.
Der Begriff «Schulmedizin» gehört in Anführungszeichen, weil er aus dem homöopathischen Narrativ stammt. Samuel Hahnemann, Erfinder der Homöopathie, hatte diesen Begriff eingeführt, um Homöopathie kritisch-süffisant von akademischer Medizin zu distanzieren. Diese Dialektik ist falsch, denn es gibt keine «Schulmedizin» und «Nicht-Schulmedizin», sondern nur Mittel und Verfahren, deren Wirksamkeit wissenschaftlich gestützt ist, sowie Mittel und Verfahren, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht gestützt bis widerlegt ist.
9. Wer heilt, hat Recht
In einigen Kommentaren wurde festgehalten, dass Recht habe, wer heile:
9.1 Kommentar
Nein.
10. Keine Nebenwirkungen
In der letzten Gruppe wird das Argument vertreten, Homöopathie habe keine Nebenwirkungen:
Diese Argumentationslinie wird von der Homöopathie-bejahenden wie -skeptischen Seite vertreten. Für die einen ist Homöopathie gemäss dem Motto «nützt es nicht, schadet es nicht» ein Mehrwert, für die anderen ist die Überdosis-Aktion kontraproduktiv, weil aus homöopathischer Sicht ja gerade behauptet wird, dass nichts passieren kann.
10.1 Kommentar
Im Kontext der 10:23-Aktion ist der Umstand ausbleibender Nebenwirkungen auch bei grossen Mengen Globuli gerade etwas, was irritieren kann und soll: Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass Homöopathie ein Dosierungs-Wirkungs-Prinzip postuliert, das in starkem Widerspruch zu wissenschaftlichen Dosierungs-Wirkungs-Mechanismen steht.
Wie aber war das genau mit Homöopathie und Nebenwirkungen? Dass Homöopathie keine Nebenwirkungen haben soll, ist eine Kernkomponente der homöopathischen Lehre, oder? Es lohnt sich, diesbezüglich Samuel Hahnemanns Organon der Heilkunst zu konsultieren:
In Paragraph 275 wird recht deutlich die Wirkung einer Homöopathie-Überdosis beschrieben:
Die Angemessenheit einer Arznei für einen gegebnen Krankheitsfall, beruht nicht allein auf ihrer treffenden homöopathischen Wahl, sondern eben so wohl auf der erforderlichen, richtigen Größe oder vielmehr Kleinheit ihrer Gabe. Giebt man eine allzu starke Gabe von einer, auch für den gegenwärtigen Krankheitszustand völlig homöopathisch gewählten Arznei, so muß sie, ungeachtet der Wohlthätigkeit ihrer Natur an sich, dennoch schon durch ihre Größe und den hier unnöthigen, überstarken Eindruck schaden, welchen sie auf die Lebenskraft und durch diese gerade auf die empfindlichsten und von der natürlichen Krankheit schon am meisten angegriffenen Theile im Organism, vermöge ihrer homöopathischen Aehnlichkeits-Wirkung macht.
In Paragraph 276 werden die Gefahren einer homöopathischen Überdosierung weiter ausgeführt:
Aus diesem Grunde schadet eine Arznei, wenn sie dem Krankheitsfalle auch homöopathisch angemessen war, in jeder allzu großen Gabe und in starken Dosen um so mehr, je homöopathischer und in je höherer Potenz sie gewählt war, und zwar weit mehr als jede eben so große Gabe einer unhomöopathischen, für den Krankheitszustand in keiner Beziehung passenden (allöopathischen) Arznei. Allzu große Gaben einer treffend homöopathisch gewählten Arznei und vorzüglich eine öftere Wiederholung derselben, richten in der Regel großes Unglück an. Sie setzen nicht selten den Kranken in Lebensgefahr, oder machen doch seine Krankheit fast unheilbar. Sie löschen freilich die natürliche Krankheit für das Gefühl des Lebensprincips aus, der Kranke leidet nicht mehr an der ursprünglichen Krankheit von dem Augenblicke an, wo die allzu starke Gabe der homöopathischen Arznei auf ihn wirkt, aber er ist alsdann stärker krank von der ganz ähnlichen, nur weit heftigern Arznei-Krankheit, welche höchst schwierig wieder zu tilgen ist.
Eine Überdosis kann gemäss Organon lebensgefährlich sein. Diese Passage behandelt aber den Umgang mit Kranken. Hat Homöopathie gemäss Organon keinerlei Effekte bei Gesunden?
Im Rahmen der homöopathische Arzneimittelprüfung wird angenommen, dass Homöopathika bei Gesunden etwas bewirken, und zwar Symtpome zu jenen Krankheiten hervorrufen, welche sie heilen können. In Paragraph 137 wird davon abgeraten, bei der Arzneimittelprüfung zu grosse Mengen homöopathischer Mittel auf ein Mal einzunehmen, weil die «Erstwirkungen» zu heftig und zu viele sind:
Je mäßiger, bis zu einem gewissen Grade, die Gaben einer zu solchen Versuchen bestimmten Arznei sind, – vorausgesetzt, daß man die Beobachtung durch die Wahl einer Wahrheit liebenden, in jeder Rücksicht gemäßigten, feinfühligen Person, welche die gespanntetste Aufmerksamkeit auf sich richtet, zu erleichtern sich bestrebt – desto deutlicher kommen die Erstwirkungen und bloß diese, als die wissenswürdigsten, hervor und keine Nachwirkungen oder Gegenwirkungen des Lebensprincips. Bei übermäßig großen Gaben hingegen, kommen nicht allein mehrere Nachwirkungen unter den Symptomen mit vor, sondern die Erstwirkungen treten auch in so verwirrter Eile und mit solcher Heftigkeit auf, daß sich nichts genau beobachten läßt; die Gefahr derselben nicht einmal zu erwähnen, die demjenigen, welcher Achtung gegen die Menschheit hat, und auch den Geringsten im Volke für seinen Bruder schätzt, nicht gleichgültig sein kann.
Auch hier wird sehr deutlich erklärt, was die Folgen einer Überdosierung sein sollen (wenn sie hier auch nicht als lebensgefährlich beschrieben sind).
Die homöopathische Lehre nach Samuel Hahnemann postuliert unmissverständlich, homöopathische Überdosierung könne sowohl bei kranken als auch bei gesunden Menschen Nebenwirkungen haben. Bei kranken Menschen können die Nebenwirkungen gemäss Hahnemann sogar lebensgefährlich sein.
Fazit
Das Ziel der 10:23-Aktion war es, Diskussion über Homöopathie und ihrer Beurteilung aus wissenschaftlicher Perspektive anzuregen. In welchem Masse das gelungen ist, bleibt vorerst offen.
Die Reaktionen auf die Aktion, wie sie in den Kommentaren zum 20 Minuten-Artikel zu finden sind, zeigen aber auf, warum derartige Aktionen nötig sind: Die Kritik an der Aktion geht kaum auf jene Kritik ein, welche mit dieser Aktion geäussert wurde. Es geht nicht darum, gegen Homöopathie zu sein, sondern darum, für etwas zu sein: Für eine ergebnisoffene, rationale Prüfung von Ideen über die Welt – für Wissenschaft.
19 Comments on “Eine Typologie der Negativkommentare zur 10:23-«Überdosis»”
Ich finde die Kommentare interessanter, als die zusammenfassende Nachbereitung. Fazit: erschreckend, wie viele „kritische“ Zeitgenossen das eigene Mass an Bildung / Informiertheit / Durchblick massiv überschätzen. Die 10:23 Aktion ist super, aber leider wohl doch nur ein Tröpfchen auf den heissen Stein…
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Wäre schön gewesen, wenn die Herren Journalisten mit den Zitaten aus dem Organon bewaffnet die Apothekerin/Homöopathin interviewt hätten, sprich vorbereitet gewesen wären.
Sehr gute Zusammenfassung, sehr nützlich beim Diskutieren mit HP-Fans. Danke
Wenn ich mich nicht irre, ist der Beitrag von Martin Forrer in „Anekdoten-Daten.png“ gegen Homöopathie.
Hallo sqrt
Stimmt, da ist ein Nicht-Negativkommentar reingerutscht – Danke für den Hinweis! Obschon auch dort mit Anekdoten argumentiert wird, wenn ich mich nicht täusche (je nach dem, wie die Glutensenstivität genau diagnostiziert wurde).
Grüsse
Marko
Einer der besten Filme zur Homöopathie ist „The System“ von Derren Brown – siehe http://www.youtube.com/watch?v=9R5OWh7luL4 – auch wenn der vordergründig erstmal nichts mit dem Thema zu tun hat, sondern mit Pferdewetten (!). Erst ganz am Ende des sehr unterhaltsamen und spannenden Films lässt Derren Brown die Katze aus dem Sack – und erklärt, was seine perfekte Vorhersage von Pferderennen mit Homöopathie zu tun hat.
Interessant ist, dass man damit auch Effekte der Evolution erklären kann, weswegen ein mit mir befreundeter Biologielehrer den Film auch im Biologieunterricht zeigt. Leider hat sich kein deutscher Fernsehsender bereit gefunden, den Film zu synchronisieren und ihn hier auszustrahlen, obwohl es sich (sagen auch die Fernsehproduzenten) um einen der besten Infotainment-Filme handelt, den man weit und breit finden kann.
Gerade weil der Film zeigt, wie man sich selbst täuschen kann, wenn man die Ereignisse betrachtet, wie man zu falschen Schlussfolgerungen gelangt, ist der Film so eindrücklich. Hier wird nicht erklärt „Wenn man so denkt, denkt man falsch“ – sondern es wird etwas gezeigt, was aufgrund der eigenen Denkweisen unerklärlich bleiben muss, bis es am Schluss erklärt wird, und man seine Irrwege sieht.
Es ist eines der besten Argumente gegen „anekdotische Evidenz“ (etwa: mir hat es aber geholfen!), das ich kenne. Ich finde es schade, dass der Film hierzulande so unbekannt ist. 45 lohnende Minuten. Wie gesagt, man darf sich nur nicht irritieren lassen, weil es so sehr um etwas ganz anderes zu gehen scheint, und das man bezüglich des Themas in die Irre geführt wird. Immerhin ist das der Film eines Illusionisten.
Von Derren Brown gibt es auch einen sehr interessanten Film über den Placebo-Effekt – Fear and Faith, Part 1, den man auch bei youtube finden kann.
Danke für die Tipps!
Grüsse
Marko
Sali Volker
Der Film ist in der Tat Klasse, wenn ich auch den Link zum Grundproblem der Homöopathie, nämlich den fehlenden Nachweis seiner Wirksamkeit und der Ignoranz gegenüber diesem Umstand, nicht ganz nachvollziehen kann. Was er hingegen sehr schön demonstriert, ist die „Überzeugungskraft“ der eigenen Erfolgsgeschichte und die Blindheit gegenüber dem Kontext, in dem diese eingebettet ist.
Das klint ähnlich, doch rüttelt letzteres nicht notwenigerweise an der Glaubwürdigkeit der Homöopathie per se, wenn man annimmt, dass die Menschen verschieden sind und dem einen diese alternative Heilmethode hilft (und zwar immer) und dem anderen eine andere (ebenfalls jedes Mal). Und genau das ist sogar eine weit verbreitete Ansicht.
Im Grunde müsste man die Anhänger der verschiedenen Heilmethoden, die ja alle ihre persönlichen Anekdoten haben, nach weiteren persönlichen Anekdoten fragen. Die müssten dann bei den meisten schnell mal aufgebraucht sein gemäss dem System. Sind sie aber nicht. Dank dem Placeboeffekt, dem man selbst natürlich nie aufsitzt
Ich denke, der Schlüssel zur breiten Akzeptanz der evidenzbasierten Medizin liegt im Verständnis des Placeboeffekts: Erst wenn auch der letzte Indianer den Placeboeffekt verstanden hat, wird er merken, dass man mit Homöopathie nur den Kaffee süssen kann 😉
Gruss, Eda
Wie funktioniert denn der Placeboeffekt? Warum werden Kranke selbst mit Scheinoperationen gesund? Viel mehr, ausser dass es den Placeboeffekt gibt, ist soweit ich weiss, nicht bekannt. Könnte man ihn gezielt ausschalten, so wären die ganzen Doppelblindstudien überflüssig. Könnte man ihn gezielt einschalten, bräuchte es vermutlich gar keine Medikamente mehr.
Auch hier ist die Frage nicht, wie er funktioniert, sondern ob es ihn gibt. Und dass es ihn gibt, ist in unzähligen Studien belegt.
Und um nicht dem „System“ aufzuliegen, muss ich mir bewusst sein, dass er auch bei mir funktioniert und daher meine Erfahrungen nicht wirklich halten, was sie zu versprechen scheinen.
Den Placeboeffekt künstlich zu aktivieren (und das in seiner stärksten Form (was das auch immer heissen mag)) ist natürlich ein sehr reizvoller Gedanke und in ca. 80% sicherlich erwünscht. Doch nicht alles ist psychosomatisch. Um nur ein beispiel zu nennen: Placeboimpfungen schützen nicht.
Der Punkt ist der, dass der Placeboeffekt auch wirkt, wenn Menschen wissen, dass es ihn gibt. Es braucht eine Art Ritual (Ärztin macht Anamnese, bespricht etwas mit Patient, verschreibt ein Medikament), damit er wirkt – das Medikament kann aber enthalten, was es will. Und hier kommt der Punkt: Es ist in diesen Fällen, wo allein die Placebowirkung verschrieben werden soll, halt tatsächlich rational besser, wenn das Medikament keine Nebenwirkungen hat. Sollte eine Ärztin dazu stehen, dass sie nur Placebo verschreibt: Wahrscheinlich schon. Aber anders als dieser Blogpost suggeriert, steht diese Frage ganz klar in einem »logischen« Zusammenhang mit der Bewertung von Homöopathie. Sie löst das Problem nicht, dass es viele Menschen gibt, die an andere Wirkungen von Homöopathie glauben, aber dieses Argument muss ja nicht alle Probleme lösen, es hat ja einen ganz anderen Anspruch.
Hallo Philippe
Nein, logisch gesehen hat die Frage nach der Wirksamkeit *über den Placebo-Effekt hinaus* (darum geht es in moderner, evidenzbasierter Medizin) homöopathischer Mittel keinen Zusammenhang mit dem Argument, dass Placebo nützlich sein kann. Das scheint doch reichlich eindeutig?
Wenn die *separate* Frage interessiert, inwiefern eine Placebo-Therapie nützlich sein kann, muss der mögliche Nutzen von Homöopathie als Placebo-Eingriff rationalerweise auch im Kontext reflektiert werden, in welchem er tatsächlich auftritt. Das bedeutet konkret: (Praktisch) Niemand, die oder der Homöopathie verschreibt, deklariert Homöopathie ganz offen und unmissverständlich als Placebo, sondern übernimmt die Behauptungen der homöopathischen Lehre. Das hat *erwiesenermassen* negative Folgen (utilitaristisch als gesundheitliches Gemeinwohl gesehen), eben in Betreff der Impfraten, oder auch krasser bei Organisationen wie den „Homöopathen ohne Grenzen“. Wenn das ethische Argument für Homöopathie ergriffen werden soll, müssen auch die (empirisch demonstrierbaren) ethisch heiklen Probleme mitbedacht werden.
Die Anamnese ist ein grosser Bestandteil nicht-spezifischer Effekte und ein Bereich, so meine ich, wo reguläre, ökonomisch optimiert Medizin Probleme hat (vgl. „Ware Gesundheit – Das Ende der klassischen Medizin“ von Paul U. Unschuld).
Gruss
Marko
Deine Frage läuft doch eigentlich darauf hinaus, ob ein Arzt seinen Patienten belügen darf, wenn es diesem hilft.
Viele würden spontan ja sagen, doch ich bin mir da nicht so sicher. (Wenn ich mich recht erinnere, wurde diese Frage auch am Denkfest diskutiert und auch dort war die Ansicht eher ablehnend. Insbesondere weil Erwartungshaltung des Patienten, welche den Placeboeffekt auslöst, auch direkt geweckt werden kann. Dass man also jemandem mit Kopfschmerzen zum Psychiater schickt, statt ihm Placebos zu geben, die den gleichen Effekt haben.)
Das Problem ist aber, dass die Lüge hier ein Gedankengebäude ist, aus welchem sich auch andere Ableitungen ziehen lassen, die dann aber eben nicht mehr funktionieren und entsprechend fatal sein können. Wenn Globuli gegen Kopfweh und Magenbeschwerden helfen, wieso sollen sie dann nicht auch gegen Malaria helfen? Und wenn sie entgegen der wissenschaftlichen Erklärbarkeit helfen, wieso sollte man noch annehmen, dass diese überhaupt was taugt?
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