Rückblick auf den Workshop «Souveräner argumentieren im Alltag mit kritischem Denken»
vom 3. Juni 2023
von Werner Hoffmann und Philipp Wehrli
Der Philosoph und Coach Chris Bühler empfing uns zum Workshop «Souveräner argumentieren im Alltag mit kritischem Denken» mit einem Fernrohr. Genauer gesagt, mit dem Foto eines solchen Gerätes, umgeben von einer unscharf abgebildeten Küstenlandschaft. Was das wohl zu bedeuten hatte?
Darüber wurde aber nicht lange spekuliert. Unser Kursleiter begann gleich mal mit einer Warnung: Kritisches Denken heisst immer auch Selbstreflexion und Selbstkritik. Würde unser Ego die Selbstkritik ertragen?
Selbsteinschätzung und Begriffsdefinitionen
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde folgte eine Selbsteinschätzung in 4 Dimensionen:
- Bin ich eher mathematisch-naturwissenschaftlich oder kultur- und geisteswissenschaftlich orientiert?
- Denke ich eher analytisch-logisch oder kreativ und assoziativ?
- Diskutiere ich eher rational oder emotional?
- Stufe ich mich im kritischen Denken eher als Anfänger oder als Vollprofi ein?
Je nach Antwort begaben wir uns an eine andere Stelle im Raum. Die Frage «wo stehe ich?» wurde in Bezug auf diese Selbsteinschätzungen so ganz direkt und sinnlich erfahrbar.
Als Mitglieder eines Vereins, der das kritische Denken als Hauptzweck versteht, sollten wir ja eigentlich eine perfekte Definition dieses Begriffes nur so aus dem Ärmel schütteln können. Ja, sollten wir… Eine Einzel- und Gruppenarbeit zu diesem Thema zeigte schnell einmal, dass diese Definition alles andere als trivial ist. An Stelle eines einfachen, eingängigen und abschliessenden Satzes entstand ein ganzer «Definitionscluster», der zahlreiche Facetten dieses Begriffes beleuchtete.
Einer der Begriffe aus diesem Cluster gab dann seinerseits Anlass zu einer längeren Diskussion. Was heisst «Wohlwollen» eigentlich genau? Sicher kann es nicht darum gehen, jede andere Meinung kritiklos zu akzeptieren, bloss um des lieben Friedens willen. Aber bevor wir unserem Gegenüber widersprechen, sollten wir seine Position wirklich verstehen. Und das geht nur, wenn wir wertfrei zuhören, nichts unterstellen, unvoreingenommen prüfen, ob da vielleicht doch was dran sein könnte. Falls dann die Differenzen unüberbrückbar bleiben, wollen wir dies nachvollziehbar begründen können.
Allerdings setzt das voraus, dass überhaupt eine Gesprächsbereitschaft von beiden Seiten besteht. Es gibt Fälle, in denen ein Gespräch sinnlos erscheint. Da bleibt dann eben nur noch der höfliche Verzicht auf eine weitere Diskussion.
Nach diesen eigenen Annäherungen an den Begriff des kritischen Denkens stellte uns Chris Bühler mehrere Definitionen aus der philosophischen Literatur vor, die wiederum zu eifrigen Diskussionen führten. Eine besonders kurze und einprägsame Formulierung stammt von Jonas Pfister (Assistenzprofessor am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck, Autor der Monographie «Kritisches Denken»):
«Kritisches Denken ist rationales Denken. Das heisst Denken, das von Gründen geleitet ist.»
Nach einer kurzen Mittagspause mit einem ansprechenden Snack aus der Quartierbäckerei forderte uns Chris Bühler mit drei Kernbegriffen:
Aussage, Argument und Erklärung
Das klang zu Beginn recht einfach, aber schon bald stellte es sich heraus, dass die Anwendung auf konkrete Gesprächssituationen doch einiges an Überlegung erfordern kann. Ein Flussdiagramm war dabei recht nützlich.
Der klassische Syllogismus (mit dem bekannten Beispiel «Alle Menschen sind sterblich» / «Sokrates ist ein Mensch» / «Also ist Sokrates sterblich») bot demgegenüber kaum Verständnisprobleme – nur ist er in dieser reinen Form auch nicht besonders spannend. Die Erweiterung auf nicht-deduktive Argumente ist wesentlich lebensnäher. Nicht deduktive Argumente liefern starke oder schwache Gründe für eine Konklusion. Ihre Stringenz kann durch zusätzliche Prämissen beeinflusst werden. Und sie können zu Konklusionen führen, die mehr aussagen, als sich aus den Prämissen ableiten lässt. Dadurch sind sie aber auch schwieriger einzuordnen. Es stellt sich die Frage: Wann ist ein nicht-deduktives Argument für einen kritischen Denker erlaubt?
Wie diskutiert man souverän und konstruktiv?
Unser Kursleiter präsentierte uns einige Ratschläge zum souveränen und konstruktiven Diskutieren:
- Mehr zuhören als argumentieren,
- mehr fragen als unterstellen,
- mehr Lösungen finden als recht haben.
Oder in Form eines Gedichtes:
“There was an owl liv'd in an oak
The more he heard, the less he spoke
The less he spoke, the more he heard.
Why can’t we all be like that bird.”
Anschliessend diskutierten wir verschiedene Formen logischer Fehlschlüsse und rhetorischer Taktiken. Chris Bühler präsentierte dazu einen Überblick über die wichtigsten Fehlschlüsse. Freundlicherweise zitierte er als Quelle unsere eigene Website. Diese sei hiermit herzlich empfohlen!
Die «Fishbowl»-Diskussion
Nach einer zweiten kurzen Pause war eine «Fishbowl»-Diskussion angesagt. Die zu diskutierende Frage:
Ist es akzeptabel, wenn in Bahnhofs-WCs nur noch digital bezahlt werden kann?
Dabei ging es nicht um die politische Antwort. Es ging darum, die verwendeten Argumente richtig einzuordnen. Wir wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe suchte Argumente für die rein digitale WC-Bezahlung. Die andere Gruppe sammelte Argumente dagegen. Jede Gruppe bestimmte einen «Champion», der mit den gesammelten Argumenten die Position seiner Gruppe verteidigte. Die anderen bildeten einen Kreis und beobachteten den Verlauf der Diskussion.
Sehr schnell wurde dabei klar, dass die korrekte Analyse eines Diskussionsverlaufes mindestens so anspruchsvoll ist wie das Diskutieren selbst. Leider hatten wir die geplante Zeit da schon etwas überzogen, so dass diese Phase etwas kurz dauerte.
Schlussbemerkungen
Bei seinen Schlussbemerkungen gab uns Chris noch einige Hinweise auf weiterführende Literatur und auf andere Möglichkeiten der Vertiefung. Dass er dabei unter «Level 1» und «Level 2» seine eigenen Internet-Angebote erwähnte, war naheliegend. Aber was kam dann? Level 3? Nein, der dritte Punkt lautete «Level 42: Philosophiestudium beginnen». Wer «Per Anhalter durch die Galaxis» kennt, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen; für alle anderen sei angemerkt, dass es sich bei «42» um die ultimative, allumfassende Antwort auf «die endgültige Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest» handelt.
Und damit wären dann wohl wirklich alle denkbaren Fragen abschliessend beantwortet – ausser vielleicht jene nach der Bedeutung des Fernrohrs am Anfang. Doch nach so viel Klärungen dürfte ja auch dieses Problem gar keines mehr sein. Oder kann es noch einen Zweifel daran geben, dass dieses Fernrohr für die Schärfung nebelhafter Konzepte, für die Erkenntnis zuvor unklarer Zusammenhänge, kurz, eben für das kritische Denken steht?
Aber wie sich das auch immer verhält, und jetzt wieder ganz im Ernst: Vielen Dank, Chris, für deinen hervorragenden, ebenso lehrreichen wie spannenden Workshop!
One Comment on “Vom Fernrohr zum Level 42”
Schade, habe ich die Weiterbildung verpasst. Scheint anregend und lehrreich gewesen zu sein!