Rationalität ist ein Begriff, den wir im Alltag oft benutzen. Der Zustand des rational Seins ist meistens positiv konnotiert – wir finden alle irgendwie, dass wir „vernünftig“ sind und uns nicht von Emotionen und dergleichen leiten lassen. Irrational, so meinen wir, sind meistens die anderen, nicht wir selber.
Doch was meinen wir genau, wenn wir von Rationalität sprechen? Das Alltagsverständnis von Rationalität ist sehr vage und im Grunde inhaltsleer. Es gibt aber auch philososophisch-konzeptuelle Definitionen von Rationalität, welche ein wenig gehaltvoller beschreiben, was Rationalität ist. Es sind Definitionen und nicht bloss eine Definition, weil es unterschiedliche Arten von Rationalität gibt. Die zwei wichtigsten: Instrumentelle Rationalität und epistemische Rationalität.
Instrumentelle Rationalität: Ziele so gut wie möglich erreichen
Instrumentelle Rationalität ist die Rationalität, wie sie der Rational Choice-Theorie1 2 zugrunde liegt. Instrumentell rational zu sein bedeutet, Präferenzen zu haben, und das eigene Handeln nach diesen Präferenzen auszurichten. Oder andes ausgedrückt: Wir sind dann instrumentell rational, wenn wir so handeln, dass wir unsere Ziele möglichst gut erreichen.
Instrumentelle Rationalität operiert nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung. Wir handeln also dann und nur dann instrumentell rational, wenn wir den Nutzen, den wir maximieren wollen, auch wirklich so gut wie möglich zu maximieren versuchen. Der spezifische Nutzen, um welchen es uns geht, ist uns überlassen. Das bedeutet, dass Nutzenmaximierung nicht vorgibt, um was für einen Nutzen es sich handelt. In dieser Hinsicht wird das Konzept der instrumentellen Rationalität bisweilen missverstanden: Nutzenmaximierung und Rational Choice bedeutet nicht, dass es in irgendeiner Form um Profitmaximierung oder dergleichen geht. Instrumentelle Rationalität ist ein universales Konzept; der Nutzen, der maximiert werden soll, definieren wir selber. Diese Form der Rationalität ist auch unter anderen Bezeichnungen bekannt, berühmterweise etwa als Zweckrationalität3.
Epistemische Rationalität: Gute Gründe haben, um etwas zu glauben
Als kritisch denkende Personen glauben wir, dass es eine Realität gibt, aber wir haben keinen perfekt objektiven Zugang zur Realität. In unserem Hirn können wir über die Welt nachdenken, und das Nachgedachte passt mehr oder weniger gut zur Realität. Ein wenig anders ausgedrückt: Wir können die Realität nicht neutral und objektiv wahrnehmen, sondern lediglich eine bestimmte Art der Einstellung zu Aussagen („Propositionen“) über die Realität haben. Um welche Art der Einstellung handelt es sich dabei? Glaube.
Wir Menschen können, erkenntnistheoretisch gesehen, gegenüber der Welt nur Glaubenssätze formulieren mit dem Anspruch, dass unser Glaube zur Welt passt (Das ist der sogenannte „mind-to-world direction of fit“4.). In unseren Alltagsüberlegungen haben wir aber den Anspruch, nicht zu glauben, sondern zu wissen. Was ist also die Situation mit dem Wissen? Erkenntnistheorie, oder, eine Spur hochgestochener, Epistemologie, ist die philosophische Disziplin, welche sich mit der Natur des Wissens auseinandersetzt. Die erkenntnistheoretische Ausgangslage ist dabei, dass es eben kein neutrales und objektives Wissen gibt, das uns Menschen zur Verfügung steht. Stattdessen ist das, was wir als Wissen bezeichnen können, am ehesten begründeter Glaube („justified beliefs“)5, oder, ein bisschen genauer: In Wahrscheinlichkeiten ausgedrückter begründeter Glaube6.
Epistemische Rationalität ist nun schlicht dieses erkenntnistheoretische Prinzip: Begründeter Glaube im Gegensatz zu unbegründetem Glauben.
Ist alles nur instrumentelle Rationalität?
Die Unterscheidung nach instrumenteller und epistemischer Rationalität wird oft unternommen und sie macht auch Sinn. Bei instrumenteller Rationalität geht es darum, beliebige Ziele zu erreichen. Bei epistemischer Rationalität hingegen geht es darum, auf eine bestimmte Art von Glauben über die Welt anzustreben. Es ist aber auch möglich, zu argumentieren, dass epistemische Rationalität in Tat und Wahrheit nur eine Teilmenge instrumenteller Rationalität darstellt7 8. Wenn wir anstreben, epistemisch rational zu sein, dann ist das meistens nicht blosser Selbstzweck aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus. Im Grunde wollen wir auch ein Ziel erreichen, in dem wir epistemisch rational sind: Wir wollen, dass unser jeweiliger Glauben möglichst gut zur Realität passt. In diesem Sinne ist auch der Prozess des Begründens von Glauben letztlich eine Massnahme der Nutzenmaximierung – und der Nutzen, den wir in diesem Kontext maximieren wollen, ist die Genauigkeit und Präzision unseres Glaubens.
Rationalität ist fundamental wichtig
Dadurch, dass wir anstreben, instrumentell rational zu sein, schärfen wir unser Bewusstsein für Fragen rund um Kosten und Nutzen – was will ich eigentlich, und wie erreiche ich das am besten? Dadurch, dass wir anstreben, epistemisch rational zu sein, schärfen wir unser Bewusstsein für die Notwendigkeit begründeten Glaubens – habe ich wirklich gute Gründe, um zu glauben, was ich glaube? Beide Werkzeuge gemeinsam machen es möglich, dass wir uns erfolgreich durch die Welt manövrieren.
References
- Boudon, Raymond. 2008. “Rational Choice Theory.” In The New Blackwell Companion to Social Theory, edited by Bryan S. Turner, 179–95. Wiley-Blackwell. doi:10.1002/9781444304992.ch9.
- Sugden, Robert. 1991. “Rational Choice: A Survey of Contributions from Economics and Philosophy.” The Economic Journal 101 (407): 751–85. doi:10.2307/2233854.
- Weber, Max. 1968. On Charisma and Institution Building. University of Chicago Press.
- Searle, John R. 1976. “A Classification of Illocutionary Acts.” Language in Society 5 (1): 1–23.
- Armstrong, D. M. 1973. Belief, Truth and Knowledge. CUP Archive.
- Ramsey, Frank P. 2016. “Truth and Probability.” In Readings in Formal Epistemology, edited by Horacio Arló-Costa, Vincent F. Hendricks, and Johan van Benthem, 21–45. Springer Graduate Texts in Philosophy 1. Springer International Publishing. doi:10.1007/978-3-319-20451-2_3.
- Foley, Richard. 2008. “An Epistemology That Matters.” In Liberal Faith: Essays in Honor of Philip Quinn, edited by Philip L. Quinn and Paul J. Weithman. University of Notre Dame Press.
- Kelly, Thomas. 2003. “Epistemic Rationality as Instrumental Rationality: A Critique.” Philosophy and Phenomenological Research 66 (3): 612–40. doi:10.1111/j.1933-1592.2003.tb00281.x.
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