Vom Gegeneinander zum Miteinander
“Sapere Aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!” schrieb Immanuel Kant 1784 in seinem berühmten Text „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung”. Ich liebe diesen Aufruf, denn er weist auf einen Kernaspekt aufklärerischen, kreativ-kritischen Denkens hin, der Überzeugung, dass jeder von uns keiner Autorität und keiner Theorie blind vertrauen sollte, sondern selbst versucht, alles kritisch zu hinterfragen und zu verstehen. So betrachte ich denn Aufklärung auch nicht als eine Zeitepoche, sondern als eine Art zu denken und zu handeln. Eine Kombination aus „kreativem und kritischem Denken“ mit dem Ziel, die Welt immer besser zu verstehen, um in der Lage zu sein, lebensfreundlichere Zustände für uns Menschen und andere empfindsame Tiere zu realisieren. Es ist die zugleich bescheidene, wie auch hoffnungsvolle Erkenntnis, dass wir erst einige Tropfen kennen, wir selbst diese hin und wieder kritisch hinterfragen sollten und ein Ozean der Erkenntnisse und Möglichkeiten noch auf uns wartet. Dies erhöht unser gegenseitiges Verständnis, dass niemand von uns alles wissen kann und Irrtümer menschlich sind. Kritik empfinden wir deshalb immer öfters als ein Geschenk, da wir nur durch sie unsere falschen, leidbringenden Überzeugungen entdecken können. Eine Vielfalt an Meinungen erachten wir als bereichernd, da wir nur voneinander lernen können, weil wir verschieden sind und uns unsere Vielfalt stark macht, wenn wir zusammenarbeiten. Mit diesem Denken können wir deshalb gemeinsam auf dem Forschungsschiff der Aufklärung in Richtung Erkenntnis segeln, indem wir falsche Ideen über Bord werfen, ohne dass Menschen für falsche Ideen über Bord geworfen werden. So führt uns die Aufklärung weg vom Gegeneinander, hin zum Miteinander. Einer gemeinsamen, lebenslangen Forschungsreise immer mehr Tropfen des Ozeans des Wissens und des Wohls frei zu legen. Wir erkennen, dass wir alle auf der Suche sind, dass diese Suche zu unserem Mensch-Sein dazu gehört und wir in unserem Mensch-Sein Eins sind. Wir alle sind “Leben, das leben möchte, inmitten von Leben, das leben möchte”. Unsere Bezugsgruppe erweitert sich, bis wir mehrheitlich nur noch die Menschheit als unsere Familie und alle anderen empfindsamen Tiere als unsere nahen und fernen Verwandten betrachten. Damit ist die Voraussetzung gegeben, dass wir nicht nur unsere Nächsten, sondern auch unsere Fernsten lieben können, wenn wir Liebe als das unbedingte Interesse an der Entfaltung des andern und sich selbst verstehen. In diesem Sinne ist die Aufklärung nicht nur der Weg aus der Dunkelheit der Unwissenheit und des Leides, ins Licht des Wissens und des Wohls, es ist auch der Weg aus der Dunkelheit des Gegeneinanders, ins Licht des Miteinanders.
Soweit mein Auszug aus meinem Text “Was ist Aufklärung?”, in welchem ich versuche die Schönheit dieser Bewegung & Denkschule aufzuzeigen und gleichzeitig auch versuche auf zwei Aspekte hinzuweisen, welche meiner Ansicht nach erstens falsch sind und zweitens einem aufklärerischen Miteinander im Weg stehen. Zum einen ist es die verbreitete Ansicht, dass wir Menschen einen freien Willen hätten und wir deshalb besser sein könnten, als wir sind und zweitens, dass die Natur mehrheitlich gut sei und wir Menschen negativ in dieses vermeintliche Gleichgewicht eingreifen würden. Beide Ansichten sind nach meiner Einschätzung falsch und es würde mich interessieren, wie du dies siehst?
Falls du dich dafür interessierst, findest du meinen umfassenderen Artikel dazu, inkl. Quellenangaben im hier verlinkten Beitrag.
Über einen Austausch mit dir dazu, würde ich mich freuen.
Herzlich, Tom