Wer hat Angst vor dem Koran?

Philipp WehrliBlog4 Comments

Die Koran-Verteilaktion Lies! Ist seit dem 15. November in Deutschland verboten1. Verschiedene Publikationen begründen das Verbot mit der Feststellung: Ein grosser Teil der jungen Deutschen, die als ISIS-Kämpfer in den Krieg gezogen sind, hatte davor Kontakt mit Lies!-Aktivisten. Das Verbot und diese Begründung finden in Deutschland grossen Beifall. Und auch in der Schweiz fordern verschiedene Politiker mit ähnlichen Begründungen ein Koran-Verteil Verbot. Dabei müsste man noch viel weiter gehen: Restlos alle Deutschen und Schweizer, die als ISIS-Kämpfer in den Krieg gezogen sind, haben davor regelmässig Toiletten benützt. Um der ISIS einen wirklich ernsten Schlag zu versetzen, müssten wir nach obiger Logik die Benützung von Toiletten verbieten.

Die von "Lies!" verteilte Koran-Ausgabe.

Die von „Lies!“ verteilte Koran-Ausgabe.

Mit dieser Kurzsatire kritisiere ich nicht den deutschen Innenminister Thomas de Maizière, der das Verbot aussprach. Maizière hat nämlich gar nicht das Verschenken des Korans verboten, sondern die radikal-salafistische Organisation Die wahre Religion, die auch –aber nicht nur- hinter der Lies!-Aktion steht. Maizière betonte sogar ausdrücklich, dass sich der Schritt nicht gegen den Islam oder die Verteilung des Koran richte, sondern gegen Extremisten, die die Religion als Vorwand nutzen würden, um gegen die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland zu agieren.

Der über Monate vorbereitete und sorgfältig nach rechtsstaatlichen Grundsätzen abgewogene Entscheid des Innenministers kontrastiert bemerkenswert mit der stammtischartig verzerrten Berichterstattung diverser Medien. Wenn ein Verbrecher Bücher verteilt, wird er für sein Verbrechen verurteilt. Aber nicht für das Verteilen von Büchern! Dieser entscheidende Unterschied ist in vielen Artikeln nicht zu erkennen.

Solche Berichterstattung ist für die Salafisten die wertvollere Propaganda als jeder Koran-Stand. Solche Berichte sind der Beweis für die salafistischen Verschwörungstheorien: „Selbst westliche Medien schreiben es: Die Religionsfreiheit ist eine Lüge. Die wollen uns den Koran verbieten!“ – Nach Dounia Bouzar ist dies das erste Argument, mit dem die ISIS Rekruten angeworben werden2: „Die westliche Gesellschaft ist verlogen.“ – Wenn die Aktion Lies! Englisch gelesen genau diese Botschaft trägt, ist dies vielleicht gar kein Versehen.

Wollen wir den Koran verbieten? – Wir sollten genau das Gegenteil anstreben! Der Islam braucht eine Reformation. In Europa hat die Reformation damit begonnen, dass einige extremistische Gläubige die auf Deutsch übersetzte Bibel der breiten Bevölkerung zugänglich gemacht haben. Schön, dass die Salafisten dies nun mit dem Koran tun!

Der zweite Schritt einer Reformation besteht darin, das Buch zu lesen und darüber zu diskutieren. Diesen zweiten Schritt habe ich trotz mehreren Anläufen nie ganz geschafft. Stets habe ich nach etwa einem Drittel des Korans die Lektüre abgebrochen, weil ich sie ausgesprochen langweilig fand. Eine Botschaft fand ich aber auf praktisch jeder Seite. Schlagen Sie eine beliebige Seite in einem beliebigen Teil des Korans auf. Da wird Ihnen mit dem ewigen Höllenfeuer gedroht oder behauptet, Allah werde irgendjemand anders ganz fürchterlich bis in alle Ewigkeit bestrafen. Manchmal wird dieser Drohung noch hinzugefügt, es liege allein in Allahs Hand, dich auf den rechten Weg zu führen oder dich in die Irre zu führen. Wenn Allah dich ins Unermessliche quälen will, führt er dich in die Irre und lässt dir danach die ‚gerechte’ Strafe zukommen.

Ich kann mich nicht für die Idee vom Höllenfeuer erwärmen. Ich finde es auch nicht gerecht, wenn Allah jemanden in die Irre führt, um ihn dann bis in alle Ewigkeit dafür zu strafen, dass er in die Irre gegangen ist. Aber wir sollten diese Ängste zu einem Thema machen. Für viele meiner muslimischen Schüler/innen ist die Drohung mit dem Höllenfeuer real. Stolz verkünden mir die Jungs: „Ich fürchte nichts ausser Allah!“ Aber die Furcht vor Allah und dem Höllenfeuer ist da. Es ist besser, wenn wir darüber informiert sind und darüber diskutieren.

Es ist wichtig, zu zeigen, dass niemand sich fürchten muss. Weder vor dem Höllenfeuer, noch vor dem Koran, noch vor Allah.

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References

  1. „Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie“, Frankfurter Allgemeine Zeitung. http://www.faz.net/aktuell/politik/thomas-de-maiziere-rechtfertigt-verbot-von-salafisten-verein-14528523.html
  2. „Wege aus der Rekrutierungsfalle“, Spektrum der Wissenschaft. http://www.spektrum.de/news/wege-aus-der-rekrutierungsfalle/1380975

4 Comments on “Wer hat Angst vor dem Koran?”

  1. Das Verbot von bestimmten Büchern scheint in Deutschland immerwieder als Lösung von Problemen angesehen zu werden. Hat aber noch nie funktioniert. Bücher sollte man lesen und sich dann eine Meinung bilden, egal ob „Mein Kampf“ der Koran oder ein Buch von Paulo Coelho.

    1. Dein Kommentar geht am Artikel komplett vorbei. Niemand hat ein Buch verboten.
      Aus dem Artikel: „Maizière hat nämlich gar nicht das Verschenken des Korans verboten, sondern die radikal-salafistische Organisation Die wahre Religion, die auch –aber nicht nur- hinter der Lies!-Aktion steht.“

  2. Danke für diesen Blog.
    Tatsächlich musste ich auch mehrere Zeitungen lesen um mitzubekommen, was denn nun genau verboten wurde. Ich konnte mir von Anfang an nicht vorstellen, dass das Verteilen eines Buches (das nicht auf dem Index steht) justiziabel sei.

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