Wir Mediziner – weshalb viele von uns lieber nichts von Skeptikern wissen wollen.

Denis UfferBlog, Gesundheit11 Comments

Einige mögen sich bereits gefragt haben, weshalb es aus dem Ärztelager nicht gerade Skeptiker hagelt. Diese Tatsache mag denn auch merkwürdig erscheinen, wenn man bedenkt, dass es in unserem Gesundheitswesen zahlreiche Domänen gibt, in denen eine kritische Stimme nicht schaden würde. Dabei beschränkt sich dieser Bedarf nicht vollkommen auf widerlegte Methoden der Alternativmedizin.

Da mich die Scheu in solchen Situationen nicht dominiert, habe ich bereits einige z.T. durchaus fruchttragende Gespräche hierüber mit Ärzten – und Medizinstudenten – angezettelt. Eine hervorragende Grundlage, um herauszufinden, weshalb die kritische Stimme der Ärzteschaft so disproportional leise zu sein scheint.

Auch wenn die Gründe (und Ausreden) für die bescheidene skeptische Aktivität der Ärzteschaft vielfältig sind, denke ich doch eine gewisse Gesetzmässigkeit erkannt zu haben: Am besten lässt sich diese als doppelte dreier-Faustregel zusammenfassen:

Einerseits scheint es 3 Hauptgründe zu geben, weshalb einige Ärzte (oder Medizinstudenten) die skeptischen Argumente zu als unwirksam widerlegten Methoden nicht anerkennen möchten. Andererseits kann man 3 gewichtige Gründe nennen, weshalb sich gewisse Ärzte, obwohl sie die wissenschaftliche Lage anerkennen, nicht weiter mit der Problematik der vielen unwirksamen (und potentiell schädlichen) Methoden der Alternativmedizin beschäftigen möchten.

die alternative Ambulanz

1. Weshalb Ärzte (und Medizinstudenten) nicht immer sehr skeptisch sind

I. Der unterwürfige Papageieffekt

Ich hatte schon die Ehre, werte Kollegen kennenzulernen, die an einer merkwürdigen Form eines rhetorischen Stockholm-Syndroms zu leiden schienen. Dabei adaptieren diese Individuen mit einer befremdlichen inhaltlichen Präzision das politische Argumentarium von öffentlich aktiven Alternativmedizin-Apologeten. Diese Personen fallen besonders durch folgende rhetorische und inhaltliche Merkmale auf:

  • Wiederholte Verwendung von Wörtern wie „ganzheitlich“, „natürlich“, „nebenwirkungsarm“ sowie „chemisch“, „schulmedizinisch“, etc.
  • Das Unvermögen, den Fehlschluss in Argumenten mit einem falschen Dilemma oder mit Ad-Hominem-Konstrukten zu erkennen: „es gibt halt viele unfreundliche Ärzte“, oder „wenn die Schulmedizin an ihre Grenzen gerät, dann kann man doch auch mal Alternativmedizin versuchen“.
  • Die Anekdotenliebe: „Die Kühe meines Onkels, die gaben mit Bioresonanzbehandlung 10% mehr Milch!“ (übrigens, die Russen scheinen die Bedeutung von Anekdoten besser verstanden zu haben: „Anekdot“ bedeutet auf Russisch „Witz“. Treffend.)
  • Dem eigenen Fach stehen sie besonders kritisch gegenüber (das ist im Grunde gut!), kritisieren Methoden, Ärzte, das System, während sie die Methoden des alternativen Angebotsspektrums mit Komplimenten hemmungslos liebkosen.

II. Das Placebo-Mysterium

Gelegentlich herrscht bei ärztlichen Verteidigern von unwirksamen Methoden die Meinung vor, es sei eine gute Sache, den Placeboeffekt von alternativmedizinischen Behandlungen zu nutzen. Zudem sei dieser ja bei der Alternativmedizin besonders stark, und überhaupt: „nützt es nicht, so schadet es nicht!“ Ganz in Oblivion geraten scheint die Tatsache, dass alternative Heilmethoden durchaus beachtliche Schäden anrichten können, nicht zuletzt dadurch, dass regelmässig lebensnotwendige medizinische Eingriffe durch solche Scheinbehandlungen massiv verzögert oder gar nicht durchgeführt werden. Und beim Placeboeffekt vergisst man einfach die wichtigen Punkte:

  • Er ist höchst unberechenbar: bei den einen sehr stark, bei anderen fehlt er gänzlich
  • Sein Lucifer-Zwilling heisst Nocebo und ist gar nicht so selten, auch bei Alternativpraktiken: gerade bei depressiven und misstrauischen Menschen könnte dieser Effekt dominieren.
  • Der Placeboeffekt macht keine Narkosen, heilt keine Brüche, lässt keine Tumoren verschwinden und tötet keine Bakterien. Was bleibt übrig? Ach ja, Kopfschmerzen und Konsorten, selbstlimitierende Symptome, die mit oder ohne Placebo nicht länger als 12 Stunden anhalten. Effekt – oder doch eher natürlicher Krankheitsverlauf?

III. Die Wissenschaftsmüden

„Ich habe mal gehört, dass Ritalin als Spätfolge Parkinson hervorrufen kann!“, ein Paradebeispiel für diesen Typen Mediziner. Die wissenschaftlichen Studien kriechen ihnen aus den Ohren heraus, worauf sie sich kurzentschlossen damit begnügen, das wiederzugeben, was ihnen irgendjemand mal zugeflüstert hat. Wenn dieses Verhalten auch nachvollziehbar ist, es lässt kein gutes Licht auf das besagte ärztliche Individuum scheinen. Die Folge: eine Totalverwirrung zwischen Wissen, Halbwissen und Gegenwissen. Die Kur: wenn man etwas neues hört, geht man entweder nachlesen oder vergisst am besten gleich wieder das Gesagte und erspart sich dadurch einige Hirnzellen für anderes Wissen („ich habe gehört, das funktioniere, das mit dem Hirnzellen sparen“ – Quatsch, aber es ist weniger ermüdend!).

Ach ja, das Ritalin: Die Mär nimmt ihren Ursprung bei einer Rattenstudie mit fünf Ratten aus dem Jahre 2002…

2. Weshalb viele doch inaktiv bleiben…

I. Der Zeitfaktor

Es ist verständlich, dass viele Ärzte, deren Arbeitszeiten die durchschnittliche 42-Stunden-Woche von Angestellten um viele Stunden übertreffen, ihre bescheidene Freizeit für andere Tätigkeiten als mit dem eigenen Beruf verwandte verwenden möchten.

II. Karriere und Patienten

Weder die Karriere noch die Patientenzahl belohnt die Ärztin die sich öffentlich für ein wissenschaftlicheres Gesundheitswesen stark macht. Wenn auch das Abstimmungsergebnis von 2009 („Zukunft mit Komplementärmedizin“) keinen Wirksamkeitsnachweis für alternative Heilmethoden erbracht hat, spricht es klare Worte: Wer beliebt sein und nicht negativ auffallen (wichtig für die Karriere und Aufstiegswünsche) möchte, fällt öffentlich besser nicht allzu stark mit seiner skeptischen Meinung auf.

III. Die Fatalisten und die „selbst Schuld“-Darwinisten

Sprüche wie „du änderst sowieso nichts“, „das wird eh bleiben“, „die Menschen sind halt so“ zeugen von der immensen Charakterstärke dieser Individuen. Überzeugt, dass alles eh nichts bringt und man die Welt am besten die Toilette herunterspülen würde, erinnern sie mich wiederholt daran, dass ich mit den Skeptikern einfach nur meine Zeit vergeude. Zudem sind diese Menschen meist fest davon überzeugt, dass die Menschen, die aus irgendeinem Grund durch alternative Heilmethoden zu Schaden kommen, selbst die Schuld für ihre Ignoranz tragen und dafür, dass sie irgendein anderes minderwertiges Individuum von der besagten Methode überzeugt hat. „Die sind doch selbst schuld, wenn sie dem Onkologen nicht glauben wollen, dass die Chemotherapie besser wirkt als die Kügelchen“. Und was, wenn diese 30-jährige Brustkrebspatientin zwei Homöopathen-Eltern hat? Selbst schuld?

 

Leider fliesst keine quantenmedizinische Energie mehr durch mich, weshalb ich auf ein zusammenfassedes Schlusswort verzichte und um Nachsicht bitte…

Bis auf ein nächstes mal!

 

for the record: Falls nicht explizit anders erwähnt, sind immer beide Geschlechter gemeint, auch wenn nur das eine genannt wird. Der Lesefluss lässt grüssen!

Autor

11 Comments on “Wir Mediziner – weshalb viele von uns lieber nichts von Skeptikern wissen wollen.”

  1. Danke für die interessanten Thesen!

    Mich würde interessieren, wie du einen weiteren Aspekt einschätzt: Finanzielle Anreize.

    „Alternativmedizinische“ Mittel und Verfahren können ja recht hohe Profitmargen haben, und eine allfällige Zertifizierung über eine Zusatzausbildung ist für HumanmedizinerInnen von den Anforderungen her ein Klacks.

    Würdest du sagen, dass es also kritisch-evidenzbasiert denkende Ärztinnen und Ärzte gibt, die nicht-wissenschaftliche Methoden so als „Zustupf“ doch anbieten, wohlwissend, dass sie weitgehend Placebos verkaufen?

    Gruss

    1. Da die „alternativmedizinischen“ Methoden finanziell praktisch nicht reguliert sind, bieten sich hier in der Tat sehr reizvolle Gewinnmargen.

      Wir reden hier jedoch nicht von nichtwissenschaftlichen Methoden, sondern wir haben es mit einer abstrusen Form des Glaubens zu tun. Keine Paramedizin, sondern eine Parareligion.

      Und das sehe ich als Hauptproblem: Jemanden in Glaubensfragen zu überzeugen, ist praktisch unmöglich. Versuche mal einem gläubigen Christen seinen Glauben in Frage zu stellen. Oder auch nur einem Kreationisten die Evolution zu erklären.

      Das ist mir im laufenden Praxisalltag meist einfach zu anstrengend. Von mir selbst gibt es zwar keine Angebote dieser Art und die Frage, was ich davon halte, wird sehr klar beantwortet, aber ich kann mich nicht im steten Kampf gegen die Homöopathie aufreiben.

      Dennoch fühle ich mich mit „selbst Schuld“-Darwinisten nur sehr unzureichend beschrieben.

  2. Vermutlich hat fast jeder Mediziner schon früh in seiner Karriere beeindruckende Heilungen ohne medizinischen Grund miterlebt oder x-fach erzählt bekommen. Solche Wunderheilungen werden dann wissenschaftlich als Spontanheilungen bezeichnet – lassen den Arzt aber doch zweifeln, ob da nicht mehr zwischen Himmel und Erde ist. Wenn ein Patient mit leuchtenden Augen von seiner Nahtoderfahrung erzählt (dürfte im Spital Alltag sein), kommen weitere Zweifel am mechanistischen Weltbild auf.

    Kannst du die ‚beachtlichen Schäden‘ der Alternativmedizin mit Zahlen belegen? Wäre interessant, diese mit Falschmedikation, Fehldiagnosen etc. in der Schulmedizin in Relation zu sehen.

    Gruss Benny

  3. Gut beobachtet.
    Dazu kommt noch die Verdienermentalität: Wenns denn der Kunde so wünscht…
    Dann wirds ihm halt angeboten. Für Geld…

    1. Das ist das Argument, welches man auch von Apothekern hört: „Wenn’s Geld bringt, warum nicht?“ Daß es unmoralisch ist, den Leuten etwas wirkungsloses zu verkaufen oder sie nicht aufzuklären, was eigentlich auch zu den Pflichten von Medizinern und Pharmazeuten gehören sollte, wird selten bedacht.

      1. Ich würde nicht mit der Moral argumentieren.
        sondern es ist betrügerisch. und damit, auch nach derzeitiger Rechtssprechung, eigentlich justiziabel.
        nur wenn der Betrügende nicht weiß, daß es Betrug ist, ist der nach aktueller Rechtsauffassung aus dem Schneider.
        Betrug bleibts dennoch.

  4. Ich denke besonders Ärtze mit intensivem Patientenkontakt kommen nicht gegen den Zeitgeist an bzw. sind ein Teil davon. Das Pendel wir hoffentlich irgendwann wieder in die vernünftige Richtung ausschlagen, wenn nutzlose Alternativmedizin das Gesundheitssystem zu sehr belastet und manche wissenschaftliche Institutionen sich lächerlich machen, weil sie keine vernüntogen Erkentnisse mehr liefern können.
    Nicht verzagen
    lg Michael

  5. Danke für diese Zusammenstellung. Es ist eine schöne Systematik, um Ordnung in dieses Problem zu bringen. Ich vermisse noch einen anderen Grund, warum Mediziner nicht immer skeptisch sind und von dem fürchte ich mich am meisten und die möglicherweise die Grundlage für diese verschiedenen Facetten der Abneigung gegenüber Schulmedizin ist. Es ist das fehlende Verständnis für die wissenschafltiche Methode. Ich verstehe, wenn ein Arzt kriminell, gleichgülig, minimalist, überfordert ist. Aber mich erstaunt es, wenn Ärzte behaupten können, dass man mit Homöopathie keine Doppelblindstudien durchführen kann. Ebenfalls erstaunlich ist es, wenn Ärzte vom „Verschränkung“ und Quantenphysik sprechen (und wenn möglich noch damit kokettieren, dass sie keine Ahnung von Mathematik und Statistik haben). Dabei könnte man einfach einen Physiker fragen, ob die Verschränkung eine Erklärung für das Erinnerungsvermögen des Wassers sein kann. Bildungspolitisch scheint mir hier etwas schiefgelaufen sein.

  6. Pingback: Warum Skeptiker unbeliebt sind @ gwup | die skeptiker

  7. Als Medizinstudentin kann ich dem weitestgehend zustimmen. Eine Ursache sehe ich in der minimalen Methodenausbildung, die wir erhalten (das ist jedenfalls in Deutschland so, für die Schweiz kann ich keine Aussage treffen). Wer nicht promoviert oder übermotiviert dem 2-wöchigen Statistik-Kurs folgt, kann in der Regel ein durchschnittliches Paper nicht verstehen. Wenn dann noch neben dem vermaledeiten Pflichtfach „Naturheilverfahren“ solche Dinge wie eine „AG Homöopathie“ zum normalen Universitätsbetrieb dazugehören, wundert es mich fast schon nicht mehr.

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