Skeptische Randnotiz: Neue WLAN-Schockstudie – ach du meine Kresse!

Marko KovicBlog, Skeptiker-Blog3 Comments

Es gibt Geschichten, die hören wir einfach gerne, weil sie uns bewegen. Sie machen uns traurig, oder wütend, oder geil. Die besten Geschichten sind aber vielleicht jene, welche uns Angst machen.

Am 24. Dezember hat 20 Minuten eine kurze Geschichte erzählt, welche uns gehörig Angst machen soll: WLAN-Strahlen töten Zimmerpflanzen.

20 Minuten WLAN

Nicht nur wird hier mit Angst gespielt, sondern mit einer ganz bestimmten Form der Angst: Es geht um etwas, was uns mehr oder weniger ständig umgibt, und zwar Strahlung von WLAN-Antennen. Eine Geschichte kann dann besonders gut Angst erzeugen, wenn das, was uns Angst machen soll etwas ist, was wir als allgegenwärtig und harmlos erachten – eine gekonnte Dramaturgie, denn sofort sind die Leserinnen und Leser des Artikels betroffen. Keine fünf Meter von mir steht ein WLAN-Kasten!

Dramaturgie ist für diesen 20 Minuten-Artikel ein gutes Stichwort, denn in drei kurzen Akten wird das Ganze Pulver verschossen.

Der Titel sagt

Wie Wi-Fi-Router Zimmerpflanzen töten

in einer keinen Zweifel zulassenden Sicherheit. Dass Wi-Fi-Router Zimmerpflanzen töten, ist Fakt, und im Artikel wird nur noch erzählt, wie genau das vor sich geht.

Aber der Lead ist sich mit

Braune Flecken und welke Blätter: Dass es Zimmerpflanzen manchmal schlecht geht, muss nicht nur an mangelnder Pflege liegen. Die Strahlung des Wi-Fi-Routers könnte mitschuldig sein.

schon nicht mehr ganz so sicher. Der Tod ist plötzlich nur noch ein «schlecht gehen», und die direkte Kausalität nur noch ein mickriges «könnte».

Der erste Satz im Fliesstext schliesslich erklärt

Fünf Schülerinnen der Hjallerup-Schule im dänischen Nordjütland haben mit einem einfachen Experiment die wissenschaftliche Community in Skandinavien aufhorchen lassen.

und lässt die Angst so schnell verpuffen, wie sie aufgebaut wurde.

Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Studie, sondern um ein Experiment dänischer Schülerinnen, und der Versuch ist kaum aussagekräftig. Muss er auch nicht sein, schliesslich kann von Schulkindern nicht erwartet werden, dass sie nach wissenschaftlichen Kritierien Schulprojekte durchführen.

Was allerdings erwartet werden darf, ist ein Minimum an seriöser Recherche seitens 20 Minuten. Das könnte z.B. bedeuten, dass der Artikel eine journalistische Eigenleistung darstellt und nicht einfach grosse Teile eines englischen Artikels übernommen werden. Ein Beispiel (Blau: Englisches Original; Rot: Übersetzung auf 20 Minuten):

An experiment by a handful of high school students in Denmark has sparked some serious international interest in the scientific community.

Five ninth-grade girls at Hjallerup School in North Jutland, Denmark, noticed they had trouble concentrating after sleeping with their mobile phones at their bedsides. They tried to figure out why. The school obviously doesn’t have the equipment to test human brain waves, so the girls decided to do a more rudimentary experiment.

Fünf Schülerinnen der Hjallerup-Schule im dänischen Nordjütland haben mit einem einfachen Experiment die wissenschaftliche Community in Skandinavien aufhorchen lassen. Der Gedanke dazu kam ihnen, weil sie am Morgen jeweils unkonzentriert waren, was sie auf das Smartphone auf dem Nachttischchen zurückführten. Also beschlossen sie, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Da es an ihrer Schule aber keine Möglichkeit gab, Gehirnwellen zu messen, griffen die Schülerinnen auf ein viel rudimentäreres Experiment zurück.

Fairerweise sei erwähnt, dass 20 Minuten selber auf den Originalartikel verlinkt. Wäre aber die kreative Energie nicht in diese Übersetzungsarbeit und stattdessen in kritischere Reflexion geflossen, würde vielleicht auch eine weitere Expertenstimme nebst einem Vertreter von «gigaherz – Schweizerische Interessengemeinschaft Elektrosmog-Betroffener» im Artikel vorkommen. So bleibt nämlich die Behauptung, Mobilfunkantennen verursachten Schlaf- oder Konzentrationsstörungen, unhinterfragt – obschon die Hypothese der Elektrosensibilität klar widerlegt ist. Und auch an der Behauptung, Mobilfunkstrahlung würde das Krebsrisiko fördern, ist wenig dran (vgl. hierzu einen älteren Blogeintrag zu WLAN-Einsatz an Bahnhöfen).

Was bleibt nach der Lektüre dieses 20 Minuten-Artikels? Angst nicht. Angst ist von einer gewissen Beständigkeit und Tiefe.

Eher war das Ganze ein kurzer, billiger Schreck.

In etwa so, wie wenn wir vor unserem eigenen Schatten erschrecken, und kurz darauf lachen, weil es uns ein bisschen peinlich ist, dass wir für einen Moment meinten, Angst vor etwas zu haben, was eigentlich nur lächerlich ist.

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3 Comments on “Skeptische Randnotiz: Neue WLAN-Schockstudie – ach du meine Kresse!”

  1. Erwartet ihr da nicht etwas viel von einer Redaktion, die selber mehr wie ein Schülerprojekt wirkt denn wie eine ernstzunehmende News-Zentrale? *scnr*

  2. Ich habe zunehmend den Eindruck, dass die Skeptikerbewegung sich durch ihre Aktivitäten mehr Gelder für die Forschung erhofft und deshalb der profitträchtigen Industrie regelrecht hinten rein kriecht. Wer weiss, vielleicht funktioniert dieser Plan ja. Aber mit Aufklärung oder ausgewogener Information hat das wenig zu tun.

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