Eine Wünschelrute als Sprengstoffdetektor

Marko KovicBlog, Skeptiker-BlogLeave a Comment

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Die sonderbare Geschichte einer komplett nutzlosen Wünschelrute, welche im Irak für viel Geld als Sprengstoffdetektor verkauft wurde. Und sehr wahrscheinlich immer noch Menschenleben kostet.

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An den 20. März 2003 kann ich mich noch erstaunlich gut erinnern: Frühmorgens trudelte ich in der Schule ein, ohne die Nachricht vernommen zu haben. Die allgemeine Hektik verriet aber rasch, dass die Invasion des Iraks durch die von den US-Streitkräften angeführte Allianz begonnen hatte. Damit war auch klar, was wir junge, naive, dumme, leidenschaftliche Nicht-Kinder-und-nicht-Erwachsene tun würden: Wir gehen auf die Strasse, und protestieren! Mit erhobenem Zeigefinger, aber doch nicht ohne Stolz auf seine idealistischen Zöglinge, ermahnte uns der Rektor, der Unterricht finde wie geplant statt, und eine Abwesenheit werde bestraft – umso besser, zeigten wir damit doch, dass wir im Kampf für das Gute bereit sind, Opfer zu bringen. Fürwahr, das Schwimmen auf der Antikriegswelle von 2003, mit so vielen Gleichgesinnten in der Schweiz, Europa, weltweit, war ein beeindruckendes Ereignis (oder vielleicht ist die Reminiszenz daran bloss Anzeichen, dass man langsam alt wird).

Zehn Jahre später bleibt vor allem die Einsicht, dass der (je nach Zählart zweite oder dritte) Golfkrieg ein heilloses Chaos war. Ein Tiefpunkt für evidenzbasierte Politik (von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen und Beweisen für seine Mitwirkung bei den Terroranschlägen von 9/11 fehlt jede Spur), eine bis heute anhaltende Krise für humanitäres Völkerrecht, sprich Kriegsrecht (der zahnlose Tiger UN ist so nutzlos und inkonsequent wei eh und je, und das Phänomen der privaten Militärunternehmen sorgt für hilfloses Schulterzucken allenthalben), eine menschliche Tragödie (über 100’000 zivile Opfer im Irak, nicht zuletzt aufgrund der Barbarei des nach Husseins Sturz neuen islamistischen Terrors). Zehn Jahre nach Kriegsbeginn und Knapp eineinhalb Jahre nach Kriegsende ist noch kein Silberstreifen am Horizont auszumachen.

Und als ob die Situation im sprichwörtlichen Höllenloch Irak nicht düster genug wäre, hat esoterische Quacksalberei ihren Weg dorthin gefunden, um scheinbar den «SNAFU»-Zustand permanent zu machen: Sprengstoffdetektoren, welche in Tat und Wahrheit Wünschelruten sind. Also keinen Sprengstoff finden – und Menschenleben kosten.

ade651

Kein Kneifen und kein Augenreiben hilft: Diese Geschichte ist wahr. Wie kam es dazu? Wer verdient damit Geld? Warum reagiert(e) niemand angesichts der offensichtlichen Wirkungslosigkeit?

Das Produkt: ADE651

Das obenstehende Bild stammt aus einem Werbefilm, der – wie so Vieles aus der Esoterik-Industrie – wie eine Parodie wirkt. Im Werbefilm wird der Sprengstoffdetektor «ADE651» angepriesen:

Das Gerät mit dem unscheinbaren Namen ADE651 soll also gemäss Werbevideo Sprengstoff aufspüren können. Dass der Mann im Video die Funktionsweise ausgerechnet an einem Auto aufzeigt, kommt nicht von ungefähr: Der primäre Markt für dieses Gerät sind Staaten, in denen Angriffe mit in Fahrzeigen versteckten Sprengsätzen häufig vorkommen, also etwa der Irak. Der Bombendetektor soll die Arbeit an Sicherheits-Checkpoints vereinfachen und beschleunigen, indem er rasch aufzeigt, welches Fahrzeug Sprengstoff versteckt mitführt und welches nicht. Soweit, so gut: Man mag von der politischen Situation im Irak halten, was man mag: Dass Zivilisten beschützt werden, ist ein recht unumstritten erstrebenswertes Ziel. Wäre da nur nicht das Problem mit der Unwirksamkeit des Gerätes.

In obigem Video bewirbt das lebanesische Sicherheitsunternehmen «Pro.Sec» das Gerät. Pro.Sec ist aber nicht die eigentliche Herstellerfirma, sondern bloss eine (soweit ersichtlich ehemalige) regionale Lizenznehmerin. Das Gerät selber wurde hergestellt und vertrieben vom in London ansässigen Unternehmen «ATSC», unter Leitung von Jim McCormick.

Wie nun soll ADE651 funktionieren? In obigem Video wird angedeutet, dass keine Batterien o.ä. nötig seien, was das Gerät natürlich sehr interessant macht. Wie der vermeintliche Sprengstoffdetektor benutzt wird, ist in einer Reportage von «VICE» gut festgehalten:

Mit unterschiedlichen Karten soll sich das Gerät auf unterschiedliche Sprengstoffarten kalibrieren lassen. Wie die New York Times 2009 berichtete, hatte die irakische Regierung 2008 und 2009 mehr als 90 Millionen US-Dollar für diese Geräte ausgegeben.

Das ADE651 ist nicht das erste Gerät seiner Art; die Idee, mit Wünschelruten nach Bomben zu suchen, scheint sich einiger Beliebtheit zu erfreuen. Einige weitere Geräte bzw. Herstellerunternehmen sind:

Wünschelruten: Vielleicht doch eine Wirkung?

In demselben Artikel der NYT wird beschrieben, dass für die Wirksamkeit des Gerätes ADE651 bzw. von Sprengstoffdetektoren mit ähnlicher angeblicher Wirkungsweise keine Belege vorhanden seien:

Dale Murray, head of the National Explosive Engineering Sciences Security Center at Sandia Labs, which does testing for the Department of Defense, said the center had “tested several devices in this category, and none have ever performed better than random chance.”

Das bedeutet nicht, dass Menschen, welche meinen, die Wünschelruten in ihrer Hand oder Händen bewege sich von alleine, zwangsläufig bewusst die Unwahrheit sagen. Wie die GWUP beschreibt, gibt es nämlich physiologische Phänomene, welche in nicht bewusst gemachten Bewegungen resultieren können:

Dennoch kommt es beim Rutengehen regelmäßig zu plötzlichen, nicht willentlich gesteuerten Bewegungen des Instruments. Auslöser sind zum einen winzige Muskelbewegungen, die unbewusst mit gedanklichen Inhalten und Vorstellungen verbunden sind, auch „Carpenter-Effekt“ (nach dem englischen Naturforscher William Benjamin Carpenter, 1813-1885) genannt. Hinzu kommt das Kohnstamm-Phänomen (benannt nach dem deutschen Neurologen und Psychiater Oskar Kohnstamm, 1871-1917). Es entsteht, wenn Muskeln nach längerer, intensiver Anspannung wieder entspannt werden. Der Effekt wirkt umso überraschender, da er nicht unmittelbar nach der Entspannung eintritt, sondern mit einer Verzögerung von etwa zwei Sekunden.

Diese Effekte führen dazu, dass sich die Betroffenen bisweilen des Eindruckes nicht ehrwehren können, die Wünschelrute bewege sich wirklich wie von Geisterhand. Auch eine direkte Demonstration des Umstandes, dass die Treffsicherheit bei Wünschelruten so gering ist, dass die Erklärung der unbewussten Muskelarbeit einleuchtend ist, vermag die Betroffenen nicht von ihrem durch subjektive Eindrücke gestützten Glauben abzubringen:

Das Funktionsprinzip bei Wünschelruten wird auch in einem kritischen Bericht der BBC zu ADE651 beschrieben:

Dass die Wünschelrute ADE651 nicht hält, was sie verspricht, hat 2010 auch schon James Randi kommentiert, nachdem sich Jim McCormick der «Million Dollar Challenge» der «James Randi Educational Foundation» verweigert hatte:

Ein Blick in die obskureren Winkel des Internets offenbart zudem, dass sich Bomben-Wünschelruten in der Bauart des ADE651 (Plastikkgriff mit angehänger Radio-Antenne) offenbar von Golfball-Wünschelruten haben inspieren lassen:

Fazit: Ende gut, alles gut?

Nachdem nicht zuletzt die BBC diesen Skandal mitaufgedeckt hatte, hat die britische Regierung den Export des ADE651 2010 verboten. Wie das oben eingebettete Video von VICE zeigt, sind die Geräte zwar nach wie vor in Umlauf und in Einsatz, aber immerhin besteht die Hoffnung, dass keine neuen Lieferungen stattfinden (obschon sich die Esoterik-Industrie dadurch auszeichnet, dass im Zweifelsfall ein anderer Hersteller in die Bresche springt, zumal bei lukrativen Angelegenheiten; das betroffene Produkt ist zudem sehr simpel herzustellen).

2010 wurde auch ein Strafverfahren gegen McCormick eingeleitet, wie z.B. die NYT berichtet hatte, und diesen März hat nun das Gerichtsverfahren begonnen, wie The Guardian berichtet. Offenbar wurde 2011 zudem Jihad al-Jabiri verhaftet. Al-Jabiri ist bzw. war Chef des Minenräumkommandos bei der irakischen Polizei und wurde unter Korruptionsverdacht im Zusammenhang mit dem Kauf der nutzlosen ADE651-Geräte festgenommen. Über den weiteren Verbleib al-Jabiris konnte ich keine Informationen ausfindig machen.

Auch, wenn das hässliche Kapitel der ADE651-Wünschelrute bald der Vergangenheit angehören sollte, muss sie als Mahnmal lange in unserem Bewusstsein bleiben. Das allgemeine und totale Fiasko des Irakkrieges von 2003 bis 2011 mag den Blick vom Wahnsinn der ADE651-Episode ablenken, aber dennoch dürfen im Mindesten die Grundpunkte nicht in Vergessenheit geraten:

  • Die Geschichte hat sich im 21. Jahrhundert abgespielt, im Zeitalter hochtechnologisierter Kriegsführung.
  • Ein westeuropäisches, britisches Unternehmen hat die betroffenen Quacksalberei-Geräte hergestellt und in grossem Stil verkauft, möglicherweise durch Unterstützung korrupter Beamter vor Ort im Irak.
  • Der Kauf wurde von der irakischen Regierung genehmigt, wobei eine Supervision US-amerikanischer Behörden nicht auszuschliessen ist.
  • Die Wünschelruten haben fast definitiv Menschenleben gekostet und tun dies möglicherweise nach wie vor.

Wer meint, Esoterik und Aberglaube seien heutzutage irrelevant und mit dem Totschlagargument «Hilft es nicht, schadet es auch nicht» auf alle Zeit verharmlost, mag sich diese Punkte in Erinnerung rufen. Und sich vielleicht auch den Geruch frischzerfetzter Kinder vorstellen.

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